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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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»Reite auf des Teufels Straße. Reite auf des Teufels Straße, solange du kannst.«
    Die Vampire stoben wie aufgeschreckte Gespenster in den kalten Regen, als wir aus dem Grabgewölbe gestürzt kamen. Und verblüfft sahen sie uns zu, wie wir aus Les Innocents in die Stadt jagten.
    Innerhalb weniger Augenblicke hatten wir eine Kutsche gestohlen, und schon waren wir auf dem Weg aufs Land.
    Ich trieb die Pferde schonungslos an. Doch ich war so sterblich müde, daß mir meine übernatürliche Kraft plötzlich nur noch wie reine Einbildung erschien. Bei jeder Biegung der Straße befürchtete ich, wieder von den verdreckten Dämonen umringt zu werden.
    Aber irgendwie gelang es mir, in einer Dorfschänke für Nicolas die Atzung aufzutreiben, deren er bedurfte, sowie ein paar Decken, um ihn warmzuhalten.
    Schon lange bevor wir den Turm erreichten, war er bewußtlos geworden, und ich trug ihn die Treppe hoch in jene Zelle, in die mich Magnus anfangs gesperrt hatte. Sein Hals war noch immer geschwollen und voller blauer Flecke. Und obgleich er tief schlief, als ich ihn auf das Strohbett legte, spürte ich, wie der Durst in ihm gärte, dieses schreckliche Verlangen, das mich überkam, nachdem Magnus von mir getrunken hatte. Nun, wenn er aufwachen würde, stünde ihm jede Menge Wein und Essen zur Verfügung. Und ich wußte, daß er nicht sterben würde.
    Wie es ihm tagsüber ergehen würde, vermochte ich mir nicht vorzustellen. Aber sobald ich die Tür verriegelt haben würde, würde er in Sicherheit sein. Und egal, was er mir in der Vergangenheit bedeutet hatte oder was er mir in der Zukunft bedeuten würde, ich mußte ihn schon deshalb einschließen, weil kein Sterblicher frei durch meine Gemächer streifen durfte, während ich schlief.
    Ich blickte noch immer auf ihn hinab und lauschte seinen verschwommenen, wirren Träumen - Alpträume über Les Innocents -, als Gabrielle hereinkam. Sie hatte gerade den unglücklichen Stalljungen beerdigt und sah wieder wie ein staubiger Engel aus mit ihrem zerzausten Haar, das zartes, gebrochenes Licht ausstrahlte.
    Sie ließ ihre Augen lange Zeit auf Nicki ruhen, dann zog sie mich aus dem Zimmer. Nachdem ich die Tür zugesperrt hatte, führte sie mich in die untere Grabkammer. Sie schlang ihre Arme eng um mich, als wäre auch sie beinahe am Ende ihrer Kräfte.
    »Hör zu«, sagte sie schließlich, löste ihre Arme und nahm mein Gesicht in ihre Hände. »Wir schaffen ihn aus Frankreich fort, sobald wir aufgestanden sind. Kein Mensch wird jemals seinen verrückten Geschichten Glauben schenken.«
    Ich schwieg. Mir waren ihre Gedankengänge ebenso unklar wie ihre Absichten. Mein Kopf schwirrte.
    »Du kannst ja seinen Impresario spielen«, sagte sie, »wie du es schon mit Renauds Gauklern getan hast. Du kannst ihn in die Neue Welt schicken.«
    »Schlaf jetzt«, flüsterte ich. Ich küßte sie auf den geöffneten Mund. Ich sah wieder das unterirdische Gewölbe, hörte ihre seltsamen, unmenschlichen Stimmen. All das würde nicht enden.
    »Wenn er einmal fort ist, können wir über diese anderen sprechen «, sagte sie ruhig. » Und ob es für uns ratsam ist, Paris eine Weile den Rücken zu kehren…«
    Ich wandte mich von ihr ab, ging zu dem Sarkophag und lehnte mich auf den Steindeckel. Zum erstenmal in meinem Dasein als Unsterblicher sehnte ich mich nach der Ruhe des Grabes, nach dem Gefühl, daß mich das alles nichts mehr anging.
    Es schien, als sagte sie dann noch etwas. Tu es nicht.

4
    Als ich aufwachte, hörte ich ihn schreien. Er trommelte gegen die Eichentür, verfluchte mich, weil ich ihn gefangenhielt. Sein Lärmen drang durch den ganzen Turm, und sein Geruch quoll durch die Mauern: ach, dieser saftige Duft lebenden Fleisches und Blutes, seines Fleisches und Blutes!
    Sie schlief noch.
    Tu es nicht
    Eine Symphonie aus Groll und Wahnsinn drang durch die Mauern, ein Versuch, die schrecklichen Bilder, die Folter zu bändigen, in Worte zu fassen… Kaum daß ich ins Treppenhaus trat, war es, als würde mich ein Wirbelwind seiner Schreie, seines menschlichen Geruchs umtosen. Und all die unvergessenen Düfte mischten sich darein - die Nachmittagssonne auf einem Holztisch, der Rotwein, der Rauch des Kaminfeuers.
    »Lestat! Hörst du mich? Lestat!« Trommelnde Fäuste gegen die Tür. Und die Erinnerung an Kindermärchen: Der Riese sagt, er rieche Menschenblut in seiner Behausung. Entsetzen. Ich wußte, daß der Riese den Menschen finden würde. Ich konnte hören, wie er ihn aufspürte.

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