Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Gefährtin desgleichen. Sie sind Dämonen mit aufgeblasenen Ideen und von großem Verstand.«
»Ihr könnt nicht unter Menschen leben!« beharrte Armand, und eine Sekunde lang schoß Farbe in sein Gesicht. Aber er war jetzt nicht mein Feind; er war vielmehr ein verwunderter alter Mann, der Schwierigkeiten hatte, mir eine unbequeme Wahrheit begreiflich zu machen. Und gleichzeitig schien er ein Kind zu sein, das mich anflehte, und dieser Widerspruch machte sein Wesen aus, Vater und Kind, die mich beide beschworen, ihm zuzuhören.
»Und warum nicht? Ich sage dir doch, daß ich unter Menschen gehöre. Schließlich verdanke ich ihrem Blut meine Unsterblichkeit.«
»Ach ja, Unsterblichkeit, aber das hast du noch nicht einmal angefangen zu begreifen«, sagte er. »Das ist nur ein Wort. Befasse dich mal mit dem Schicksal deines Erzeugers. Warum ist Magnus denn ins Feuer gegangen? Aufgrund einer uralten Wahrheit, von der du noch nicht einmal etwas ahnst. Das Leben unter Menschen und die flüchtige Zeit treiben einen in den Wahnsinn. Mitansehen zu müssen, wie andere alt werden und sterben, den Aufstieg und Fall ganzer Königreiche mitansehen zu müssen, alles zu verlieren, was man versteht und schätzt - wer kann das ertragen? Es wird dich in rasenden und verzweifelten Irrsinn treiben. Die Unsterblichen deinesgleichen sind dein Schutz, Rettung, dein Heil. Die uralten Prinzipien, die sich nie geändert haben!«
Er hielt inne, erschrocken, daß er dieses eine fromme Wort, Heil, benutzt hatte, und es hallte durch den Raum, und seine Lippen formten es stumm nach.
»Armand«, sang die alte Königin leise. »Der Wahnsinn kann auch die Ältesten packen, ob sie an den alten Prinzipien festhalten oder nicht.« Sie hob ihre weißen Klauen, als wollte sie ihn angreifen, und kreischte vor Lachen, als er sie nur kalt anblickte. »Ich bin die alten Pfade so lange wie du gewandelt, und ich bin wahnsinnig, oder vielleicht nicht?«
Verärgert protestierend schüttelte er seinen Kopf. War er nicht der lebende Beweis, daß es auch andere ging?
Aber die Königin näherte sich mir und packte meinen Arm. »Hat dir Magnus nichts erzählt, Kind?« fragte sie. Sie strahlte eine gewaltige Kraft aus. »Während sich die anderen in dieser geweihten Stätte aufhielten, bin ich allein über die schneebedeckten Felder gewandert, um Magnus zu finden. Ich kletterte zu seinem Fenster empor und entdeckte ihn in seiner Kammer, und zusammen sind wir zu den Zinnen gestiegen, und niemand hat uns gesehen, außer die fernen Gestirne.«
Sie kam noch näher, umklammerte mich noch fester.
»Magnus verfügte über große Weisheit«, fuhr sie fort. »Und dein Feind ist nicht der Wahnsinn, nicht, wenn du wirklich stark bist. Den Vampir, der seinen Orden verläßt, um unter den Menschen zu wohnen, ereilt eine grausame Hölle, schon lange, ehe der Wahnsinn von ihm Besitz ergreift: Er kann bald nicht mehr umhin, die Sterblichen zu lieben. Er erreicht den Punkt, wo er alles im Licht der Liebe versteht. «
»Laß ab von mir«, flüsterte ich. Ihr Blick hielt mich so fest wie ihre Hand.
»Im Lauf der Zeit lernt er die Sterblichen besser kennen, als sie sich jemals untereinander gekannt haben«, fuhr sie unbeirrt fort, »und schließlich kommt die Stunde, da er das Leben nicht mehr erträgt, da er es nicht mehr erträgt, Leid zuzufügen, und dann kann ihm nur noch der Wahnsinn oder sein Tod den Schmerz lindem. Das ist das Schicksal der alten Vampire, so wie Magnus es mir beschrieben hat, Magnus, der schließlich an all dem Elend zugrunde ging.«
Dann ließ sie mich frei, wich von mir zurück, wie das Trugbild im Trinkglas eines Matrosen.
»Ich glaube dir kein Wort«, flüsterte ich, aber das Flüstern geriet zu einem Zischen. »Magnus? Sterbliche lieben?«
»Natürlich glaubst du mir nicht«, sagte sie mit ihrem gefrorenen Spaßmacherlächeln. Auch Armand sah sie verständnislos an. »Meine Worte ergeben vielleicht jetzt keinen Sinn«, fügte sie hinzu. »Aber du hast unendlich viel Zeit, zu verstehen!«
Gelächter, heulendes Gelächter, drang zur Kuppel der Gruft. Wieder Schreie aus den Wänden. Lachend warf sie den Kopf zurück. Armand sah sie schreckensbleich an.
»Nein, das ist alles Lüge, eine schreckliche Vereinfachung!« sagte ich. Plötzlich verspürte ich ein Hämmern in meinem Kopf, in meinen Augen. »Diese Idee der Liebe ist eine Vorstellung, die auf moralischem Schwachsinn basiert!«
Ich hielt mir die Hände an die Schläfen. Ein mörderischer
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