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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vergänglichkeit geheimnisvollerweise die wirkliche Ewigkeit, das wirklich Dauernde war. Aber die Vision verschwand in seinem schimmernden Gesicht.
    »Komm zu mir, Nicki«, flüsterte ich. Ich hob beide Hände, um ihn herbeizuwinken. »Wenn du es willst, mußt du kommen…«
    Ich sah einen Vogel aus seinem Käfig entweichen und über das offene Meer aufsteigen. Und der Vogel und die endlosen Wellen, über die er flog, hatten etwas Erschreckendes. Immer höher stieg er auf, und der Himmel wurde silberfarben, und dann verdämmerte das Silber, und der Himmel verdunkelte sich. Die Abenddämmerung, sonst nichts, wirklich nichts, wovor man hätte Angst haben müssen. Gesegnete Finsternis. Aber sie senkte sich mählich und unerbittlich nur auf diese winzige Kreatur, die im Wind über jener riesigen Öde krächzte, die die Welt war. Leere Höhlen, leere Sandflächen, ein leeres Meer.
    Alles, was ich betrachtet oder erlauscht oder mit meinen Händen betastet hatte, war verschwunden, hatte nie existiert, und der Vogel segelte, flog weiter, über mir vorbei, oder besser, an niemandem vorbei, die ganze geschichts- und sinnlose Landschaft im matten Schwarz seines Knopfäugleins gebündelt.
    Ich schrie lautlos auf. Ich spürte, wie sich mein Mund mit Blut füllte, wie jeder Schluck in unergründlichen Durst mündete. Und ich wollte sagen, ja, ich verstehe jetzt, ich verstehe, wie schrecklich, wie unerträglich diese Finsternis ist. Ich hatte es nicht gewußt, nicht wissen können. Der Vogel glitt weiter durch die Finsternis über die kahle Küste, die endlose See. Lieber Gott, gebiete Einhalt. Das war schlimmer als alle Schrecken in der Schänke. Schlimmer als das hilflose Trompeten des verwundeten Pferdes im Schnee. Aber schließlich war das Blut immerhin Blut, und das Herz - dieses köstlichste Herz aller Herzen - schmiegte sich an meine Lippen,
    Jetzt, mein Geliebter, jetzt ist der Augenblick gekommen. Ich kann dir das Leben aus deinem Herzen saugen und dich in das Land des Vergessens schicken, wo es kein Verstehen und keine Vergebung gibt, oder ich kann dich zu mir bringen.
    Ich stieß ihn fort. Ich hielt ihn wie einen zerbrochenen Gegenstand fest. Aber die Vision dauerte an.
    Seine Arme schlangen sich um meinen Hals, sein Gesicht war naß, und seine Augen waren verdreht. Dann schoß seine Zunge hervor, drang in die Wunde, die ich für ihn in meinen Hals gerissen hatte. Drang begierig ein.
    Aber laß bitte diese Vision verschwinden, diesen Vogelflug, diese schräg geneigte, farbleere Landschaft, dieses sinnlose Krächzen im Sturmgeheul. Der Schmerz ist nichts im Vergleich zu dieser Finsternis. Ich will nicht… ich will nicht…
    Und die Vision löste sich auf. Löste sich langsam auf.
    Dann war es vorbei. Der Schleier der Stille hatte sich niedergesenkt, wie damals schon bei ihr. Stille. Er hatte sich losgelöst. Und ich hielt ihn von mir fern, und er wäre beinahe gestrauchelt, die Hände an den Mund gepreßt, während das Blut in kleinen Bächen über sein Kinn rann. Seinem geöffneten Mund entwand sich ein trockener Laut, trotz des Blutes ein trockener Schrei.
    Und hinter ihm und hinter der versunkenen Vision des gleißenden Meers und des einsamen Vogels erblickte ich sie in der Türöffnung, und ihr Haar legte sich wie der Goldschleier der Jungfrau Maria um ihre Schultern, und sie sagte mit unendlich traurigem Gesicht: »Katastrophal, mein Sohn.«
    Um Mittemacht war es klar, daß er aus freien Stücken weder reden noch sich rühren würde. Wohin man ihn auch brachte, er zeigte nicht die geringste Regung. Falls ihm der Tod Schmerz bereitete, so ließ er sich nichts anmerken. Falls ihn die neuen Gegebenheiten erfreuten, behielt er es für sich. Nicht einmal Durst schien ihn zu quälen.
    Nachdem ihn Gabrielle stundenlang schweigend beobachtet hatte, wusch sie ihn und legte ihm frische Kleider an. Einer meiner schwarzen Wollmäntel schien ihr angemessen und schlichtes Leinen, was ihm das Aussehen eines jungen, vielleicht ein wenig allzu ernsten und naiven Geistlichen verlieh.
    Und als ich ihnen so zusah, hegte ich keinen Zweifel mehr, daß sie gegenseitig ihre Gedanken hören konnten. Wortlos nahm sie sich seiner Körperpflege an. Wortlos führte sie ihn zu der Kaminbank.
    Schließlich sagte sie: »Er sollte sich jetzt auf die Jagd begeben.«
    Und als sie ihn anblickte, erhob er sich, ohne sie anzusehen, wie von einer Schnur gezogen.
    Betäubt sah ich sie von dannen ziehen. Hörte ihre Tritte auf der Treppe. Und dann

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