Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Mahlzeiten nicht fertig waren. Und wenn die Lehrlinge neue Dienststellen antraten, nahm er tränenreich Abschied von ihnen. Wenn der Meister malte, las er ihm Gedichte vor, und er lernte Laute spielen und Lieder singen.
Und in den traurigen Zeiten, da der Meister für viele Nächte Venedig verließ, führte er das Regiment in dem Palast, wobei er seinen Schmerz vor den anderen verbarg, Schmerz, der erst mit der Rückkunft des Meisters verging.
Und schließlich eines Nachts, zu früher Morgenstunde, da selbst Venedig schlief, kam der Meister zu ihm. »Dies ist der Augenblick, Liebster, zu mir zu kommen und wie ich zu werden. Willst du das?«
»Ja.«
»Ewig und geheim vom Blut des Übeltäters gedeihen, so wie ich gedeihe, und dein Geheimnis bis zum Ende der Zeiten wahren?«
»Ich gelobe es, ich ergebe mich, ich will… bei dir sein, mein Meister, immer, du bist mein Schöpfer. Nie hat es einen sehnlicheren Wunsch gegeben.«
Der Meister wies auf das Gemälde, das über das Gerüst hinaus bis zur Decke reichte.
»Das ist die einzige Sonne, die du je wieder sehen wirst. Aber die Nächte ganzer Jahrtausende werden dir gehören, um ein Licht zu sehen, wie es keinem Sterblichen je vergönnt war, um es, als seist du Prometheus, von den fernsten Sternen zu ergattern und der wahren Erleuchtung teilhaftig zu werden.«
Wer zählt die Monate danach? Taumel im Bann der Zauber der Finsternis.
Des Nachts zusammen durch die Gassen und Kanäle streifen -eins mit der Gefahr der Dunkelheit, ohne Angst vor ihr haben zu müssen -, und die uralte Lust am Töten, doch nie, niemals die unschuldigen Seelen. Nein, immer nur die Verruchten, rastlose Suche bis Typhon, der Mörder seines Bruders, aufgespürt war, und dann das Böse vollständig aus dem sterblichen Opfer saugen und die Ekstase hernach.
Und hinterher malen, einsame Stunden mit dem Wunder dieser neuen Fähigkeit, der Pinsel manchmal wie von selbst über die Leinwand gleitend, zu zweit wie besessen an dem Triptychon arbeitend, und die sterblichen Lehrlinge zwischen Farbtöpfen und Weinflaschen eingeschlafen, sorglos-heitere Zeit, nur, wie früher schon, von des Meisters gelegentlichen und rätselhaften Reisen getrübt, die den Zurückgebliebenen eine Ewigkeit zu dauern schienen.
Um so schlimmer die Stunden der Trennung. Jetzt allein und ohne den Meister auf Jagd gehen, um danach allein und wartend im tiefen Keller zu liegen. Nicht mehr des Meisters Gelächter oder Herzschlag vernehmen.
»Aber wohin gehst du denn? Warum kann ich nicht mit dir kommen?« Armand flehte. Teilten sie nicht ihr Geheimnis? Warum wurde er in dieses Rätsel nicht eingeweiht?
»Nein, mein Liebster, du bist für diese Bürde noch nicht reif. Noch muß ich sie, wie schon seit über tausend Jahren, allein tragen. Eines Tages wirst du mir dabei helfen, aber nur, wenn du die Reife des Wissens erlangt hast, wenn du bewiesen hast, daß du wirklich wissend werden möchtest, und wenn du stark genug bist, daß dir dieses Wissen niemand gegen deinen Willen entreißen kann. Verstehe bitte, daß ich bis dahin keine andere Wahl habe, als dich zu verlassen.
Widmen muß ich mich JENEN, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN, wie ich es schon immer gehalten habe.«
JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN.
Armand grübelte darüber nach; es jagte ihm Angst ein. Aber schlimmer noch, es raubte ihm den Meister, und die Angst verflüchtigte sich erst, wenn der Meister zu ihm zurückkehrte.
»JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN, sind friedlich und ruhig«, sagte er und streifte den roten Samtmantel von seinen Schultern. »Viel mehr werden wir vielleicht nie erfahren.«
Und dann wieder auf Pirsch durch Venedigs dunkle Gassen, er und der Meister.
Wie lange mag das alles gedauert haben - eine sterbliche Lebensspanne? Hundert?
Kein halbes Jahr hatte dieser segensreiche Zustand gewährt, als der Meister eines Nachts im Keller über Armands Sarg gebeugt stand und sagte: »Steh auf, Armand, wir müssen fort von hier. Sie sind gekommen!«
»Wer ist gekommen, Meister? JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN?«
»Nein, mein Liebling. Die anderen. Komm, wir müssen uns beeilen!«
»Aber was können sie uns denn tun? Warum müssen wir fort?«
Weiße Gesichter an den Fenstern. Pochen gegen die Türen. Berstendes Glas. Der Meister wandte sich nach allen Seiten, nahm die Gemälde in Augenschein. Geruch von Rauch. Geruch von brennendem Pech. Sie kamen aus dem Keller hoch. Sie kamen von oben herunter.
»Lauf, keine Zeit, etwas zu retten.« Die Treppen
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