Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
das weiße Haar noch so glänzend und voll wie immer schon. Er kroch kraftlos über den Boden und flehte Armand um Hilfe an. Und hinter ihm ergoß sich warmes Licht aus dem Kloster JENER, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN; Weihrauchgeruch schwelte näher, und eine Verheißung alter Zauberkraft schien in der Luft zu liegen, eine Verheißung kalter und exotischer Schönheit jenseits von Gut und Böse.
Aber das waren eitle Trugbilder. Sein Meister hatte ihm von der tödlichen Wirkung des Feuers und des Sonnenlichts erzählt, und er hatte mit eigenen Augen den Meister im Feuer gesehen. Diese Traume waren genauso töricht, wie es der Wunsch gewesen wäre, wieder das sterbliche Leben erlangen zu können.
Und wenn seine Blicke zum Mond und den Sternen hinauf und über das spiegelglatte Meer schweiften, dann kannte er keine Hoffnung und keine Trauer und keine Freude mehr. All das war vom Meister ausgegangen, und der Meister war nicht mehr.
»Ich bin des Teufels Kind.« Das war reine Poesie. Sein Wille war ausgelöscht, und es gab nur noch die finstere Bruderschaft, und getötet wurden von nun an Unschuldige genauso wie Schuldige. Die Zeiten, sich beim Töten mit Dingen wie Grausamkeit oder nicht zu belasten, waren endgültig vorbei.
In dem großen Orden in den Katakomben zu Rom beugte er das Knie vor Santino, dem Meister, der die Steinstufen herabschritt, um ihn mit ausgebreiteten Armen zu empfangen. Dieser Fürst war zu Zeiten der Pest in der Finsternis geboren worden, und er erzählte Armand von einer Vision, die er im Jahre 1349 gehabt habe, als die Seuche wütete, daß Vampire nämlich wie der Schwarze Tod selbst zu sein hätten, eine Plage, die sich jeder Erklärung entzöge, einzig dazu angetan, die Menschen an der Gnade und Allmacht Gottes zweifeln zu lassen.
Santino führte Armand in das von Menschenschädeln gesäumte Heiligtum und weihte ihn in die Geschichte der Vampire ein.
Es habe uns schon immer gegeben, so wie es Wölfe schon immer gegeben habe. Und im Orden zu Rom, dem finsteren Schattenbild der römischen Kirche, gediehen wir zu unserer letzten Vollendung.
Armand kenne ja bereits die Rituale und allgemeinen Verbote; jetzt müsse er mit den großen Gesetzen vertraut werden:
Erstens - daß jeder Orden seinen Meister haben müsse und daß nur dieser die Anwendung der Zauber der Finsternis auf Sterbliche anordnen dürfe, wobei er auf die genaue Einhaltung der Methode und des Rituals zu achten habe.
Zweitens - daß die Gaben der Finsternis niemals an Krüppel, Verstümmelte oder Kinder weitergereicht werden dürften, oder an jene, die selbst mit den Gaben der Finsternis nicht in der Lage seien, allein zu überleben. Ferner sollten nur schöne Menschen in den Genuß dieser Gaben gelangen, damit Gott noch mehr beleidigt werden würde, wenn die Zauber der Finsternis zur Anwendung kämen.
Drittens - daß sich nie ein alter Vampir dieser Zauberkraft bedienen dürfe, damit das Blut des Novizen nicht zu stark werde. Denn all unsere Gaben steigerten sich naturgemäß mit der Zeit, und die alten Vampire verfügten über zu viel Kraft, um sie vererben zu dürfen. Wenn Verwundungen, Feuer und ähnliche Katastrophen ein Kind des Satans nicht vernichteten, werde es nur noch mächtiger werden, wenn es geheilt sei. Doch Satan schütze seine Herde vor der Macht der alten Vampire, da diese fast alle verrückt würden.
Und so erfuhr Armand denn, daß kein einziger Vampir mehr lebe, der älter als dreihundert Jahre alt sei, und unter den Lebenden weile niemand mehr, der sich noch an den ersten römischen Orden erinnern könne. Der Teufel pflege recht häufig seine Vampire abzuberufen.
Aber Armand erfuhr auch, daß die Folgen der Zauber der Finsternis nicht abzusehen seien, selbst wenn sie von einem blutjungen Vampir und unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßnahmen ausgeführt würden. Aus unerfindlichen Gründen würden einige Sterbliche, sobald sie ins Reich der Finsternis träten, mit gigantischen Kräften gesegnet, während andere kaum mehr als lebende Leichen seien. Darum müßten die Sterblichen mit äußerstem Geschick ausgewählt werden. Man müsse die Finger von all jenen lassen, die allzu leidenschaftlich seien und über einen unbeugsamen Willen verfügten, aber auch von jenen, die nichts von alledem hätten.
Viertens - daß kein Vampir jemals einen anderen vernichten dürfe, was einzig dem Meister zustehe, der über Leben und Tod aller Mitglieder seiner Herde verfüge. Ihm obliege es auch,
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