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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und Satan, aber er wußte nicht einmal die Bezeichnung seiner Heimat oder seiner Sprache, oder daß die Reiter, die ihn verschleppten, Tataren waren und daß er nie wieder etwas zu Gesicht bekäme, das er kannte oder liebte.
    Dunkelheit, das stürmische Schaukeln des Schiffes und unaufhörliche Seekrankheit, und dann, aus Angst und betäubender Verzweiflung auftauchend, der endlose, glitzernde Dschungel aus unmöglichen Gebäuden - Konstantinopel in den letzten Tagen des byzantinischen Reichs mit seinem phantastischen Völkergemisch und seinen Sklavenmärkten. Das beängstigende Sprachengewirr, Drohungen, in allgemeinverständlicher Zeichensprache ausgestoßen, und überall die Feinde, die er nicht unterscheiden oder besänftigen, denen er nicht entrinnen konnte.
    Jahre über Jahre sollten vergehen, mehr als eine sterbliche Lebensspanne, ehe Armand einen Blick zurück auf diese schrecklichen Abenteuer werfen und alles benennen konnte, die byzantinischen Hofbeamten, die ihn kastriert hätten, und die islamischen Haremswächter, die ein gleiches getan hätten, und die stolzen Mameluckenkrieger aus Ägypten, die ihn mit nach Kairo genommen hätten, wenn er nur hellhäutiger und kräftiger gewesen wäre, und die ausgesprochen freundlichen Venezianer in ihren Gamaschen und Samtwämsen, Christen, so wie er Christ war, die ihn prüfend ansahen und einander dabei milde zulachten, wie er stumm und ohne Hoffnung vor ihnen stand, unfähig zu antworten, unfähig, um etwas zu bitten.
    Ich sah, wie sich das unendliche, schäumende Blau des Ägäischen und des Adriatischen Meeres vor ihm ausbreitete, wie er in seinem Frachtraum neuerlich seekrank war und einen heiligen Eid leistete, nicht weiterzuleben.
    Und dann die großen, maurischen Paläste Venedigs, die sich aus der schimmernden Lagune erhoben, und das Haus, in das er gebracht worden war, mit seinen Dutzenden und Dutzenden von Geheimkammern. Das Licht des Himmels sickerte nur schwach durch die vergitterten Fenster, und die anderen Knaben redeten in diesem eigenartigen Venezianisch auf ihn ein, und er wußte, daß er von der endlosen Prozession von Fremden drohend und schmeichelnd zur Sünde gezwungen war, inmitten all der Fackeln, all des Marmors, wo ihm in jeder Kammer sich ein neues Bild zärtlicher Umstrickung bot, um unausweichlich in immer demselben Ritual unerklärlicher und grausamer Begierde zu münden.
    Und schließlich eines Nachts, nachdem er sich tagelang verweigert hatte und hungrig und wund war und es ablehnte, noch mit irgend jemandem ein Wort zu wechseln, wurde er wieder durch eine dieser Türen gestoßen, so wie er war, verdreckt und noch blind von der Dunkelheit seiner Zelle, in die er eingesperrt gewesen war, und die Gestalt, die ihn in Empfang nahm, groß und in rotem Samt, mit hagerem und fast leuchtendem Gesicht, berührte ihn so sanft mit ihren kalten Fingern, daß er sich in einem Traum wähnte und einmal nicht losbrüllte, als er sah, wie die Münzen den Besitzer wechselten. Es handelte sich um eine stattliche Summe. Er wurde verkauft. Und das Gesicht in seiner unnatürlichen Glätte gemahnte an eine Maske.
    Und im letzten Augenblick schrie er auf. Er schwor zu gehorchen, nicht mehr aufzubegehren. Wenn ihm jemand verraten würde, wohin man ihn brächte, wäre er nicht mehr ungehorsam, bitte, bitte. Aber schon als er die Treppe hinunter- und dem dumpfigen Geruch des Wassers entgegengezerrt wurde, fühlte er wieder die zarten, doch entschlossenen Finger seines neuen Herrn, und Lippen zart und kühl an seinem Hals, und nie, niemals würden sie ihm Leid zufügen können, und dann spürte er den ersten, tödlichen und unaufhaltsamen Kuß.
    Liebe durchpulste den Kuß des Vampirs, badete, reinigte Armand. Er wurde in eine Gondel getragen, und die Gondel bewegte sich wie ein großer, finsterer Käfer durch den Strom zu den Abwasserkanälen unter einem Haus.
    Trunken vor Wonne. Trunken von den seidenweichen, weißen Händen, die sein Haar zurückstrichen, von der Stimme, die ihn schön nannte, von dem Gesicht, das in heiteren Gefühlen erstrahlte.
    Im Morgenlicht, trunken von der Erinnerung an jene Küsse, öffnete er eine Tür nach der anderen, um einer Fülle von Büchern und Landkarten und Marmorstatuen gewahr zu werden, und dann fanden ihn die anderen Lehrlinge und führten ihn geduldig zu seiner Arbeit, wo sie ihn zusehen ließen, wie sie leuchtkräftige Pigmente zermahlten, ihn lehrten, wie man die reinen Farben mit Eidotter vermischte und wie man den

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