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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Einwilligung abzuwarten, packte er mich mit seinen schwarzen Fingern. Die Fackel entglitt meiner Hand. Ich fiel rückwärts auf die Stufen, aber seine Zähne waren bereits in meinem Hals.
    Du weißt, was dann geschah, du kennst das Ohnmachtsgefühl, wenn einem das Blut ausgesaugt wird. Ich sah in diesen Augenblicken die Grabstätten und Tempel Ägyptens. Ich sah zwei strahlende Figuren nebeneinandersitzen, wie auf einem Thron. Ich sah und hörte andere Stimmen, die zu mir in fremden Zungen sprachen. Und untergründig immer wieder der gleiche Befehl: Diene der Mutter, nimm das Opferblut, sei Herr des Kults, des einzig wahren Kults, des Kults des Hains.
    Ich kämpfte, wie man in Träumen kämpft, unfähig aufzuschreien, unfähig zu entfliehen. Und als ich spürte, daß ich frei war, nicht mehr zu Boden gepreßt wurde, sah ich wieder den Gott, aber jetzt war er im Vollbesitz seiner alten Kräfte. Sein Gesicht hatte unter der brüchigen, schwarzen Lederhaut markante, ja ansehnliche Züge angenommen. Die gelben Augen waren von so natürlichen Falten umgeben, daß sie wahre Fenster der Seele geworden waren. Aber er war noch immer verkrüppelt, fast unfähig, sich zu bewegen.
    ›Erhebe dich, Marius‹, sagte er. ›Du dürstest, und ich werde dir zu trinken geben. Erhebe dich und komm zu mir.‹
    Du. kannst dir ja die Ekstase vorstellen, die ich empfand, als sein Blut in mich strömte, mich bis in die kleinsten Gefäße durchpulste. Aber das Schreckenspendel war in Bewegung gesetzt.
    Stunden vergingen in dieser Eiche, während er mir mein Blut nahm und es mir immer wieder zurückgab. Wenn ich ausgesaugt war, lag ich schluchzend auf dem Boden. Meine Hände waren nur noch klappernde Knochen. Ich war so zusammengeschrumpelt wie er zuvor. Und dann tränkte er mich wieder mit Blut, und ich erhob mich platzend vor Wohlgefühl, nur um mich wieder vollständig aussaugen zu lassen.
    Mit jedem Blutaustausch gingen Belehrungen einher: daß ich unsterblich sei, daß nur die Sonne und das Feuer mich töten könnten, daß ich tagsüber in der Erde schlafen würde, daß ich ewig von Krankheit oder natürlichem Tod verschont bliebe, daß meine Seele mich nie verlassen würde, um in eine andere Hülle zu wandern, daß ich der Diener der Mutter sei und daß der Mond mir Kräfte verleihen werde.
    Daß ich mich am Blut der Übeltäter und sogar der Unschuldigen laben würde, die der Mutter geopfert würden, daß ich zwischen den Opferfesten fasten solle, auf daß mein Körper so verdörre wie der tote Weizen auf den winterlichen Feldern, um dann im Frühling, gefüllt mit Opferblut, wie die junge Saat zu erblühen.
    Meine Zustände des Leids und der Ekstase entsprächen dem Wechsel der Jahreszeiten. Und meine Gabe, die Gedanken und Absichten anderer lesen zu können, solle ich nutzen, um Urteile für meine Anbeter zu fällen und sie in ihrer Gesetzgebung und Rechtsprechung auf den rechten Weg zu führen. Nie dürfe ich anderes Blut als Opferblut trinken. Nie dürfe ich meine Macht eigennützigen Zwecken dienstbar machen.
    All das habe ich gelernt, all das habe ich verstanden. Aber was ich in diesen Stunden wirklich erfahren habe, war, was wir alle begreifen, sobald wir das Blut trinken: daß ich kein Sterblicher mehr war, daß ich allem Altvertrauten entschwand, um in etwas derart Gewaltiges einzugehen, daß es selbst die alten Weisheiten nicht mehr zu erklären vermochten.
    Schließlich rüstete mich der Gott, den Baum zu verlassen. Er entzog mir so viel Blut, daß ich mich kaum noch aufrecht halten konnte. Ich war ein Gespenst. Ich kam um vor Durst, ich sah Blut und roch Blut und wäre ihm an die Ader gefallen, wenn ich die Kraft gehabt hätte. Aber die Kraft hatte freilich er.
    ›Du bist leer, wie du es immer am Anfang des Festes sein wirst‹, sagte er, ›auf daß du dein Quantum Opferblut trinken kannst. Aber vergiß meine Worte nicht. Nachdem du über den Zeremonien gethront hast, mußt du eine Möglichkeit finden, zu verschwinden. Was mich betrifft, versuche, mich zu retten. Sag ihnen, daß ich bei dir bleiben muß. Aber wenn nicht alles täuscht, ist meine Zeit abgelaufen. ‹
    ›Warum, wie meinst du das?‹ fragte ich.
    ›Du wirst schon sehen. Hier wird nur ein Gott gebraucht, ein fähiger Gott‹, sagte er. ›Könnte ich nur mit dir nach Ägypten gehen, könnte ich das Blut der alten Götter trinken, das würde mich vielleicht heilen. Wie die Dinge stehen, würde diese Genesung Jahrhunderte dauern. Und soviel Zeit ist mir nicht

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