Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Du mußt unseren treuen Anbetern entkommen und dich nach Ägypten begeben, um herauszufinden, warum mir dies… dies … widerfahren ist.‹
Er schien durch die Dunkelheit zu schweben, wobei ihn sein Haar wie ein Wust weißen Strohs umgab und sein Kiefer die schwarze Lederhaut spannte, die seinen Schädel umhüllte.
›Wie du siehst, sind wir die Feinde des Lichts, wir Götter der Finsternis. Wir dienen der Heiligen Mutter und leben und herrschen nur im Mondenlicht. Aber unser Feind, die Sonne, hat ihre natürliche Bahn verlassen und uns in der Finsternis aufgespürt. In allen nördlichen Ländern, in den heiligen Hainen der Gefilde aus Eis und Schnee bis hinunter in dieses fruchtbare Land und noch im Osten - überall hat sich die Sonne in die Welt der Nacht geschlichen und die Götter lebendigen Leibes verbrannt. Die jüngsten sind nimmermehr, zum Teil wie Kometen vor den Augen ihrer Gemeinde explodiert! Andere kamen in den heiligen Bäumen um, die sich in lodernde Scheiterhaufen verwandelt hatten. Nur die alten - die der Großen Mutter lange gedient haben - konnten noch, so wie ich, gequält umherwandeln und sprechen, um ihre treue Gemeinde in Furcht und Schrecken zu versetzen, wenn sie sich zeigten.
Es muß einen neuen Gott geben, Marius, so stark und schön wie ich einst, einen Geliebten der Großen Mutter, aber noch entscheidender, er muß stark sein, den Anbetern zu entkommen, irgendwie der Eiche zu entschlüpfen und nach Ägypten zu gelangen und die alten Götter zu finden und herauszubekommen, warum uns dieses Unheil heimgesucht hat. Du mußt nach Ägypten gehen, Marius, du mußt Alexandrien und die alten Städte besuchen, und du mußt die Götter zusammenrufen mit der stummen Stimme, über die du bald verfügen wirst, und du mußt herausfinden, welche noch am Leben sind und warum uns dieses Unheil widerfahren ist.‹
Er schloß jetzt seine Augen. Er stand da, ein schlotterndes Gerippe wie aus schwarzem Papier, und plötzlich überrollte mich eine Flut ungestümer Bilder - und ich sah die Götter des Hains in Flammen aufgehen. Ich hörte ihre Schreie. Als vernunftbegabter Römer widerstand ich diesen Vorstellungen. Ich versuchte, sie mir einzuprägen, statt mich ihnen hinzugeben, aber der Schöpfer der Bilder - dieses Monster - übte sich in Geduld, und die Bilder hörten nicht auf. Ich sah das Land, das nur Ägypten hatte sein können, den Sand, der alles mit derselben Farbe zudeckt und zustaubt, und ich sah weitere Treppen ins Innere der Erde, und ich sah heilige Stätten…
›Finde sie‹, sagte er. ›Finde heraus, warum und wie das alles passieren konnte. Sorge dafür, daß sich derlei nie wiederholt. Nutze deine übernatürlichen Fähigkeiten in den Straßen Alexandriens, bis du die alten Götter aufgespürt hast. Bete, daß es sie überhaupt noch gibt, so wie es mich noch gibt.‹
Ich war zu erschüttert, um antworten zu können, zu niedergeschmettert von diesem Mysterium. Und vielleicht hat es sogar einen Augenblick gegeben, da ich meine Bestimmung akzeptierte, vollständig akzeptierte, aber sicher bin ich mir nicht.
›Ich weiß‹, sagte er. ›Mir kannst du nichts verheimlichen. Du willst nicht der Gott des Hains sein, und am liebsten würdest du fliehen. Aber dieses unglückselige Schicksal wird dich überall einholen, es sei denn, du fändest noch schnell dessen Ursache und künftige Verhütung heraus. Ich weiß also, daß du nach Ägypten gehen wirst, sonst kann es auch dir geschehen, im Schoß der Nacht oder im Schoß der dunklen Erde von dieser widersinnigen Sonne verbrannt zu werden. ‹
Er schlurfte ein wenig näher. ›Jetzt hör mir gut zu‹, sagte er, ›du mußt noch heute nacht verschwinden. Ich werde der Gemeinde mitteilen, daß du nach Ägypten mußt, um unser aller Heil willen, aber wenn sie erfahren, daß sie einen neuen und fähigen Gott haben, werden sie ihn nur ungern ziehen lassen. Aber du mußt dich auf den Weg machen. Und du darfst dich von ihnen nicht nach dem Fest in der Eiche einsperren lassen. Du mußt schnell fort. Und verkrieche dich vor Sonnenaufgang in der Mutter Erde, um dem Licht zu entfliehen. Sie wird dich beschützen. Jetzt komm her. Ich werde dir Das Blut schenken. Und bete, daß ich noch über genügend Kraft verfüge, dir meine alte Macht zu überantworten. Es wird ein Weilchen dauern. Ich werde nehmen und geben und wieder nehmen und geben, aber es muß sein, und du mußt der Gott werden, und du mußt tun, wie ich dir geheißen habe.‹
Ohne meine
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