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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht nur, weil die Leute das mochten, sondern weil wir dazu gezwungen waren: Nur so konnte man uns nicht nachsagen, daß wir an das Monopol der Staatstheater gerührt hätten, die allein das Recht hatten, richtige Dramen zu geben.
    Das Haus selbst war ein schäbiges Rattenloch, das dreihundert Leute faßte, aber die kleine Bühne und die Requisiten waren recht elegant, und es verfügte über einen luxuriösen, blauen Samtvorhang, und die Schauspieler strotzten vor Talent - so kam es mir jedenfalls vor.
    Selbst wenn mich nicht neuerlich wieder die Angst vor der Dunkelheit befallen gehabt hätte, selbst wenn ich frei gewesen wäre von dieser »Krankheit zum Tode«, wie Nicolas es zu nennen pflegte, selbst dann hätte für mich nichts erregender sein können, als bei Einbruch der Dämmerung durch den Bühneneingang zu schlüpfen.
    Für fünf, sechs Stunden lebte und atmete ich jeden Abend in einem kleinen Universum aus Geschrei und Gelächter und zankenden Männern und Frauen, die um den einen und gegen den anderen kämpften, Kameraden allesamt unter gemeinsamen Fittichen, selbst wenn wir nicht befreundet waren. Es war, als säßen wir alle mitten im Ozean in einem Boot, in ein und dieselbe Richtung rudernd, unfähig, einander zu entkommen. Es war göttlich.
    Nicolas’ Begeisterung hielt sich in Grenzen, was nicht anders zu erwarten war. Und sein Zynismus wurde noch befeuert, wenn ihn seine wohlhabenden Studienkollegen besuchten. Ihrer Ansicht nach war er verrückt, ein solches Leben zu führen. Und für mich, einen Adeligen, der Schauspielerinnen in ihre Kostüme zwängte und Putzeimer auskippte, fehlten ihnen alle Worte.
    All diese jungen Bürgersöhnchen wollten freilich nichts lieber als Aristokraten sein. Sie kauften Titel, und wann immer sich eine Gelegenheit bot, heirateten sie in Adelsfamilien ein. Und es ist einer der Treppenwitze der Geschichte, daß sie samt und sonders an der Revolution beteiligt waren und jene Klasse auslöschen halfen, der sie um jeden Preis angehören mochten.
    Nicolas’ Freunde scherten mich herzlich wenig. Die Schauspieler wußten nichts über meine Familie, und meinen wirklichen Namen, de Lioncourt, hatte ich zugunsten eines schlichten Lestat de Valois aufgegeben.
    Ich eignete mir alles an, was mit Bühnenkunst zu tun hatte. Ich lernte Rollen auswendig, ahmte alles nach, stellte endlos Fragen. Und ich wandte allabendlich meinen Blick nur von der Bühne, wenn Nicolas mit seinem Geigensolo an der Reihe war. Dann erhob er sich von seinem Sitz in dem Miniorchester und stand im Rampenlicht, während er seine kleine Sonate runterfiedelte, die lieblich und kurz genug war, um stürmischen Beifall auszulösen. Und immerzu träumte ich von meiner eigenen großen Stunde, wenn die alten Schauspieler, denen ich wie ein Lakai gedient, die ich studiert und imitiert und belästigt hatte, endlich sagen würden: »Gut, Lestat, heute abend mußt du den Lelio spielen. Inzwischen weißt du ja, was du zu tun hast.«
    Ende August war es soweit. Die Hundstage lagen über Paris, und selbst nachts war es noch warm in der Stadt, und das Haus war ausverkauft, und ein ungeduldiges Publikum fächerte sich mit Flugblättern und Schnupftüchern Kühlung zu. Die weiße Schminke schmolz mir im Gesicht schon während ich sie auftrug. Ich trug ein Pappschwert und Nicolas’ besten Samtmantel, und ich zitterte vor Aufregung, ehe ich die Bühne betrat und dachte: »Das ist, als würde man seiner Hinrichtung entgegenschreiten.« Oder so etwas Ähnliches.
    Aber sobald ich auf den Brettern stand, blickte ich direkt in den überfüllten Zuschauerraum, und da geschah etwas äußerst Seltsames - meine Angst löste sich in Luft auf. Ich strahlte das Publikum an und verbeugte mich langsam. Und dann starrte ich die hübsche Flaminia an, als hätte ich sie nie zuvor gesehen. Ich mußte ihr Herz gewinnen. Die Balgerei nahm ihren Lauf.
    Die Bühne gehörte mir, wie vor vielen Jahren schon in jenem gottverlassenen Nest. Und während wir über die Bühne tollten – uns stritten und herzten und Schabernack trieben -, erzitterte das Haus vor brüllendem Gelächter.
    Wie eine Umarmung konnte ich die Aufmerksamkeit der Zuschauer spüren. Jede Geste, jedes Wort wurde mit Lachen belohnt - es klappte fast zu einfach -, und wir hätten noch gut eineinhalb Stunden so weitermachen können, wenn die anderen Schauspieler, die nach uns an der Reihe waren, uns nicht buchstäblich von der Bühne vertrieben hätten.
    Das Publikum erhob sich von den

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