Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Sitzen, um uns zu applaudieren. Und das war ein anderes Publikum als das auf dem Lande. Das waren Pariser, die Lelio und Flaminia wieder und wieder vor den Vorhang riefen.
Hinten, im Schatten der Kulissen, wurde mir dann schwindlig, und beinahe wäre ich zusammengebrochen. Mir schwirrten die Zuschauer vor Augen, wie sie mich bewundernd anstarrten. Ich wollte sofort wieder auf die Bühne. Ich packte mir Flaminia und küßte sie und stellte fest, daß sie meinen Kuß leidenschaftlich erwiderte.
Dann kam Renaud, der alte Theaterdirektor, und zerrte sie von mir fort. »Also gut, Lestat«, sagte er mißgelaunt. »Also gut, du hast dich ganz ordentlich geschlagen, ich lass’ dich von jetzt an regelmäßig auftreten.«
Doch ehe ich noch vor Freude so recht in die Hände klatschen konnte, hatte sich bereits das halbe Ensemble um uns versammelt. Und Luchina, eine der besten Schauspielerinnen, warf sich sofort in die Brust für mich. »O nein, du wirst ihn nicht regelmäßig auftreten lassen!« sagte sie. »Er ist der hübscheste Schauspieler auf dem ganzen Boulevard du Temple, und du wirst ihn voll einstellen und voll bezahlen, und er wird keinen Besen oder Schrubber mehr anrühren.«
Ich war schreckensbleich. Gerade erst hatte meine Karriere begonnen, da stand sie schon wieder auf dem Spiel. Aber erstaunlicherweise ging Renaud auf all ihre Bedingungen ein.
Natürlich schmeichelte es mir ungemein, als gutaussehend zu gelten, und für die Rolle des Lelio, des Liebhabers, war niemand besser geeignet als ein Aristokrat, mit welcher Ausbildung auch immer. Aber wenn ich wollte, daß das Pariser Publikum mich wirklich wahrnahm, wenn ich wollte, daß man in der Comédie Francaise über mich sprach, dann mußte ich mehr sein als irgendein blondschöpfiger Engel, der aus einem Adelsgeschlecht auf die Bühne geplumpst war. Ich mußte ein großer Schauspieler sein, und genau das war mein Ziel.
In dieser Nacht veranstalteten Nicolas und ich ein gewaltiges Saufgelage. Wir hatten die ganze Truppe in unsere Zimmer eingeladen, und ich kletterte auf den rutschigen Dachfirst und streckte Paris meine Arme entgegen, und Nicolas stand im Fenster und spielte Geige, bis wir die ganze Nachbarschaft aufgeweckt hatten.
Die Musik war ekstatisch, doch die Leute fluchten, was das Zeug hielt, und trommelten auf Töpfe und Pfannen. Aber das kümmerte uns nicht. Wir tanzten und sangen wie einst auf dem Hexenplatz, und um ein Haar wäre ich in die Tiefe gestürzt.
Die Flasche in der Hand, diktierte ich am nächsten Tag die ganze Geschichte dem italienischen Briefschreiber auf Les Innocents und stellte sicher, daß der Brief unverzüglich meiner Mutter geschickt wurde. Am liebsten hätte ich jeden auf der Straße umarmt. Ich war Lelio. Ich war ein Schauspieler.
Bereits im September stand mein Name auf den Reklamezetteln, und auch diese schickte ich meiner Mutter.
Und diesmal spielten wir nicht die alte Commedia, sondern eine Posse eines berühmten Autors, die wegen eines allgemeinen Dramatikerstreiks in der Comédie Francaise nicht über die Bretter gehen konnte. Natürlich mußten wir seinen Namen geheimhalten, aber jeder wußte, daß wir sein Werk aufführten, und allabendlich fand sich der halbe Hof in Renauds Haus ein.
Ich spielte nicht die Hauptrolle, aber ich war der jugendliche Liebhaber, wieder eine Art Lelio, was fast besser als die Hauptrolle war, und ich war der Mittelpunkt einer jeden Szene, in der ich mitwirkte. Nicolas hatte die Rolle mit mir einstudiert, wobei er ständig schimpfte, daß ich noch immer nicht die Kunst des Lesens erlernt hatte. Und nach der vierten Aufrührung erweiterte der Autor sein Stück um ein paar Textstellen eigens für mich.
Nicki feierte seinen eigenen Triumph, wenn er allabendlich durch seine Interpretation einer ebenso kurzen wie seichten Mozartsonate das Publikum in Bann schlug. Sogar seine Kommilitonen tauchten wieder auf. Man lud uns zu privaten Ballveranstaltungen ein. Alle paar Tage stahl ich mich auf den Friedhof Les Innocents fort, um meiner Mutter zu schreiben, und schließlich konnte ich ihr sogar einen Artikel der englischen Zeitung The Spectator schicken, in dem unser launiges Stück und insbesondere der blonde Schlingel gelobt wurden, der die Herzen der Damenwelt im dritten und vierten Akt zu verzaubern wußte. Selbstverständlich konnte ich diesen Artikel nicht selbst lesen, aber der Gentleman, der ihn mir überreicht hatte, und auch Nicolas verbürgten sich für den schmeichelhaften
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