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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Striche über das Kreuz, die Christus darstellen sollten, seine Arme, seine gebeugten Knie, seinen seitwärts geneigten Kopf. Ich schrieb »Unser Herr Jesus Christus«, die einzigen Worte, die ich, außer meinem Namen, ohne Schwierigkeiten schreiben konnte, und wieder geschah nichts. Und während ich noch ängstlich auf die Worte und das kleine Kruzifix blickte, versuchte ich, den Deckel des Sarg zu heben.
    Trotz meiner neuverliehenen Kräfte war das alles andere als leicht. Kein Sterblicher hätte das allein vermocht. Aber was mich am meisten verblüffte, war, daß mir das überhaupt Mühe machte. Ich verfügte nicht über grenzenlose Kraft. Und mit Sicherheit war ich nicht so stark wie der alte Vampir. Ich war vielleicht so stark wie drei oder vier Männer; es ließ sich unmöglich genau abschätzen.
    Ich blickte in den Sarg. Er war sehr schmal und voller Schatten, nicht gerade einladend. In den Rand waren lateinische Worte eingeschrieben, die ich nicht lesen konnte.
    Das setzte mir zu. Ich wollte, diese Wörter wären nicht dagewesen, und meine Sehnsucht nach Magnus und meine Hilflosigkeit drohten, mich zu überwältigen. Ich haßte ihn, weil er mich verlassen hatte. Und es kam mir wie eine Ironie des Schicksals vor, daß ich Liebe für ihn empfunden hatte, kurz bevor er ins Feuer gesprungen war. Und daß ich Liebe für ihn verspürt hatte, als ich seine roten Gewänder betrachtet hatte.
    Konnten Teufel einander lieben? Liefen sie Arm in Arm durch die Hölle und sagten sich Dinge wie: »O mein Freund, wie sehr ich dich liebe«? Andererseits waren das reichlich theoretische Fragen, da ich ja nicht an die Hölle glaubte. Oder war das alles nicht eigentlich nur eine Frage der Definition des Bösen?
    Alle Höllenbewohner sollten einander hassen, wie alle Erretteten ohne Ausnahme die Verdammten haßten. So hatte ich es von Kindheit an gelernt. Und schon als Kind hatte mich der Gedanke in Furcht und Schrecken versetzt, daß ich in den Himmel kommen und meine Mutter in der Hölle enden könnte und daß ich sie dann hassen müßte. Ich konnte sie nicht hassen. Und was, wenn wir beide in der Hölle landen würden?
    Nun, Hölle hin, Hölle her, jetzt wußte ich, daß sich Vampire lieben konnten und daß man nicht zu lieben aufhört, auch wenn man sich dem Bösen verschrieben hat. So schien es wenigstens in diesem Augenblick. Aber jetzt bloß nicht wieder weinen. Dieses Geheule war nicht mehr auszustehen.
    Ich nahm eine Holztruhe in Augenschein, die hinter dem Sarg verborgen stand. Sie war nicht verschlossen, und ihr morscher Deckel fiel fast aus den Scharnieren, als ich sie öffnete. Und obwohl mir der alte Meister gesagt hatte, daß ich seine Schätze erben würde, war ich wie vor den Kopf gestoßen von dem, was ich da sah. Die Truhe war mit Edelsteinen und Gold und Silber bis obenhin vollgestopft. Da waren zahllose besetzte Ringe, diamantene Halsbänder, Perlenketten, Münzen und haufenweise andere Kostbarkeiten.
    Ich ließ meine Finger durch die Schätze gleiten und nahm dann ganze Hände voll und keuchte, als mir die roten Rubine und grünen Smaragde entgegenleuchteten. Das war ein Farbengefunkel, von dem ich nie zu träumen gewagt hätte, ein unvorstellbarer Reichtum. Und das gehörte jetzt alles mir.
    Dann sah ich mir die Sachen etwas genauer an. Vereinzelt tauchten persönliche Artikel auf, an denen bereits der Zahn der Zeit genagt hatte. Satinmasken mit verrotteter Goldverzierung, Spitzentaschentücher und Stoffetzen, an denen Schmucknadeln und Broschen steckten, ein mit goldenen Glöckchen behangener Lederhalfter, ein durch einen Ring gezogenes und vermoderndes Spitzentüchlein, dutzendweise Schnupftabakdosen, Medaillons an violetten Bändern.
    Hatte Magnus das alles seinen Opfern geraubt?
    Ich hob ein juwelenbesetztes und für meine Zeit bereits ungewohnt schweres Schwert hoch und einen abgetragenen Pantoffel, der vielleicht nur wegen seiner Schnalle aus Bergkristall aufbewahrt worden war. Natürlich hatte Magnus sich genommen, was er wollte.
    Doch er selbst hatte nur Lumpen getragen, die zerfetzte Tracht eines versunkenen Zeitalters, und er hatte hier wie ein Eremit aus einem früheren Jahrhundert gelebt. Ich konnte das einfach nicht verstehen.
    Aber der Schatz beherbergte noch andere Dinge. Rosenkränze aus prächtigsten Edelsteinen, an denen noch immer die Kruzifixe hingen! Ich berührte sie, wobei ich den Kopf schüttelte und mir auf die Lippen biß, als wollte ich sagen; >Wie schrecklich, daß er das alles

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