Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Hör mir zu, Kleiner. Meine Asche verstreuen. Sonst könnte ich zurückkommen, und in welcher Gestalt, wage ich nicht auszudenken. Grabe meine Worte in deinem Gedächtnis ein, denn wenn du es zuläßt, daß ich zurückkomme, abscheulicher gar, als ich jetzt bin, werde ich dich bis ans Ende der Welt jagen und dir Brandnarben zufügen, bis du aussiehst wie ich, hast du verstanden?«
Ich brachte noch immer kein Wort hervor. Nicht etwa aus Angst, sondern weil es die Hölle war. Ich konnte meine Zähne wachsen und meinen Körper vor Erregung zittern fühlen.
»Ah, ja.« Magnus lächelte. Das Feuer hinter ihm loderte bis zur Decke, umgab sein Gesicht mit einem flackernden Lichtkranz. »Um der Gnade willen werde ich jetzt die Hölle suchen gehen, falls es eine Hölle gibt, oder das süße Vergessen, das ich mit Sicherheit nicht verdiene. Wenn es einen Fürst der Finsternis gibt, werde ich ihn endlich sehen. Ich werde ihm ins Gesicht spucken … Also, verstreue, was verbrannt ist, wie ich dir befohlen habe, und wenn das getan ist, begebe dich durch diesen Schacht zu meiner Lagerstatt, und achte sorgsam darauf, mit dem Stein die Mauer hinter dir zu verschließen. Drinnen wirst du meinen Sarg vorfinden. Und in dieses Behältnis mußt du dich tagsüber verfügen, oder das Sonnenlicht wird dich zu Asche verbrennen. Präge dir meine Worte gut ein, nichts auf Erden kann deinem Leben ein Ende setzen, außer der Sonne oder einem Flammenmeer wie diesem hier, aber sogar dann nur, und ich betone nur, wenn deine Asche danach verstreut wird.«
Ich wandte mich von ihm und den Flammen ab. Doch er zog mich von dem Feuer fort, hin zu jenem Stein in der Wand. »Bitte bleib bei mir, bitte«, flehte ich ihn an. »Nur noch ein Weilchen, nur noch eine Nacht, bitte!« Ich umarmte ihn, hielt ihn fest. Sein hageres weißes Gesicht und seine schwarzen, seltsam ausdrucksvollen Augen schienen mir auf unerklärliche Weise schön.
»Ach, du mein gieriger Sohn«, sagte er. »Genügt es nicht, unsterblich zu sein, mit der ganzen Welt als Tafelfreude? Leb wohl, Kleiner. Befolge meine Worte. Vergiß die Asche nicht! Und die Kammer hinter diesem Stein. Dort findest du alles, was du zu deinem Glück brauchst.«
Ich hielt ihn mit aller Macht fest. Er lachte und wunderte sich, wie stark ich war. »Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, flüsterte er. »Jetzt lebe in alle Ewigkeit, schöner Wolfkiller, nutze die Gaben, die ich dir verliehen habe.«
Er stieß mich von sich. Und mit einem gewaltigen Satz sprang er mitten in das Flammenmeer.
Ich sah ihn zu Boden gehen. Ich sah, wie die Flammen sich seiner Kleidung bemächtigten. Sein Kopf verwandelte sich in eine Fackel, und dann, ganz plötzlich, riß er Mund und Augen zu großen, schwarzen Höhlen auf, und sein gellendes Lachen schwoll derart an, daß ich mir die Ohren zuhielt.
Er schien auf allen vieren in den Flammen hoch- und niederzuspringen, und auf einmal merkte ich, daß meine Schreie sein Gelächter übertönten.
Die spindeldürren Arme und Beine tauchten auf und verschwanden, tauchten auf und verschwanden, und dann welkten sie plötzlich dahin. Das Feuer loderte noch einmal bullernd auf, und dann waren nur noch die züngelnden Flammen selbst zu sehen.
Ich fiel auf die Knie, die Hände auf die Augen gepreßt. Aber hinter meinen Lidern konnte ich noch immer die Flammen sehen - einen Funkenregen nach dem anderen, bis ich meine Stirn gegen die Steine des Bodens drückte.
4
Jahrelang, so schien es mir, war ich auf dem Boden gelegen und hatte dem Feuer zugeschaut, wie es sich ausbrannte, bis nur noch ein paar verkohlte Scheite übrig waren.
Der Raum war ausgekühlt. Durch das offene Fenster strich eisige Luft. Und wieder und wieder mußte ich weinen; mein Schluchzen hallte mir in den Ohren, bis ich es nicht mehr ertragen konnte.
Ab und zu betete ich wieder. Ich bat um Vergebung, obwohl ich nicht hätte sagen können, um Vergebung wofür. Ich betete zur Jungfrau Maria, zu den Heiligen. Ich murmelte das Gebendeit seist du, Maria so oft, bis es ein sinnentleertes Geplapper wurde.
Meine Tränen aber waren aus Blut und ließen ihr Mal auf meinen Händen, wenn ich mir über die Augen wischte.
Schließlich lag ich nur mehr erschöpft auf dem Steinboden, und statt der Gebete murmelte ich monoton jene verschwommenen Bittgesuche, die wir an alles richten, das heilig ist und mit Macht ausgestattet, alles, das existieren mag oder auch nicht, alles, das wir mit Namen behaften können. Laß mich hier nicht allein.
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