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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vielleicht verstehe ich jetzt alle trügerischen Hoffnungen ein wenig besser. Und wenn du nur meine Mutter dazu bringen kannst, nach Italien zu gehen, wenn meiner Mutter nur noch Zeit bleibt…
    Die Sonne war gerade untergegangen, als ich nach einer Woche vor Rogets Tür stand und an der Glocke zog.
    Er öffnete schneller, als ich erwartet hatte, trug wie üblich sein weißes Flanellnachthemd und blickte besorgt drein.
    »Allmählich finde ich Gefallen an Ihrer Aufmachung, Monsieur«, sagte ich müde. »Ich glaube, ich würde Ihnen nicht halb soviel vertrauen, wenn Sie ein Hemd, Kniehosen und einen Rock trügen…«
    »Monsieur«, unterbrach er mich, »Etwas recht Unerwartetes…«
    »Antworten Sie mir zuerst. Renaud und die anderen sind glücklicherweise nach England gezogen?«
    »Ja, Monsieur. Sie sind bereits in London, aber…«
    »Und Nicki? Zu meiner Mutter in die Auvergne gefahren. Sagen Sie mir, daß ich recht habe. Es ist vollbracht.«
    »Aber Monsieur!« sagte er. Dann hielt er inne. Und völlig unerwartet sah ich das Bild meiner Mutter in seinem Kopf.
    Hätte ich nachgedacht, wäre mir sofort ein Licht aufgegangen. Meines Wissens hatte dieser Mann meine Mutter niemals gesehen, wie war es dann möglich, daß sie vor seinem inneren Auge auftauchte? Aber ich machte keinen Gebrauch von meinem Verstand.
    »Sie ist doch nicht… Sie wollen doch nicht erzählen, daß es zu spät ist«, sagte ich.
    »Monsieur, lassen Sie mich meinen Rock überziehen…«, sagte er unerklärlicherweise und wollte dem Diener läuten. Und da war es wieder, ihr Bild, ihr Gesicht, verhärmt und blaß und so deutlich, daß ich es nicht ertragen konnte.
    Ich packte Roget bei den Schultern.
    »Sie haben sie gesehen! Sie ist hier.«
    »Ja, Monsieur. Sie ist in Paris. Ich werde Sie jetzt zu ihr bringen. Der junge de Lenfent hat mir mitgeteilt, daß sie kommen würde. Aber ich konnte Sie nicht erreichen, Monsieur! Ich weiß nie, wo Sie zu erreichen sind. Und gestern ist sie eingetroffen.«
    Ich war zu niedergeschmettert, um antworten zu können. Ich ließ mich in einen Sessel fallen. Sie lebte und war in Paris. Und Nicki war noch in der Stadt, und er war bei ihr.
    Roget stellte sich vor mich hin und streckte seine Arme aus, als wollte er mich berühren: »Monsieur, gehen Sie schon einmal los, während ich mich anziehe. Sie ist auf der Ile St.-Louis, drei Türen rechts von Monsieur Nicolas. Sie müssen sich beeilen.«
    Ich blickte ihn fassungslos an, ohne ihn wirklich zu sehen. Ich sah nur sie. Noch eine knappe Stunde bis zum Sonnenaufgang. Und ich würde für den Weg schon eine dreiviertel Stunde brauchen.
    »Morgen … morgen abend«, stotterte ich.
    »Monsieur, Sie verstehen nicht! Ihre Mutter wird nicht nach Italien reisen. Sie hat ihre letzte Reise hierher gemacht, um Sie zu sehen.«
    Als ich nicht antwortete, packte er mich und versuchte, mich zu rütteln. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Für ihn war ich ein kleiner Junge, und er war der Mann, der mich zur Besinnung bringen mußte.
    »Ich habe ihr ein Quartier besorgt«, sagte er. »Krankenschwestern, Ärzte, alles was Sie wollen. Aber sie können sie nicht am Leben erhalten. Nur Sie können sie am Leben erhalten, Monsieur. Sie muß Sie sehen, ehe sie ihre Augen schließt. Nun scheren Sie sich nicht um die späte Stunde und gehen Sie zu ihr. Selbst ein so starker Wille wie der ihre kann keine Wunder bewirken.«
    Ich konnte nicht antworten. Ich konnte keinen zusammenhängenden Gedanken zuwege bringen.
    Ich erhob mich und ging zur Tür, wobei ich ihn hinter mir herzog.
    »Sie gehen jetzt zu ihr«, sagte ich, »und versichern ihr, daß ich morgen abend da sein werde.«
    Er schüttelte den Kopf. Er war empört. Und er wollte mir den Rücken zukehren. Aber das ließ ich nicht zu.
    »Sie gehen da sofort hin, Raget«, sagte ich. »Bleiben Sie den ganzen Tag bei ihr und sehen Sie zu, daß sie wartet - daß sie auf mich wartet. Verstanden? Lassen Sie sie nicht aus den Augen, wenn sie schläft. Wecken Sie sie auf und reden Sie mit ihr, wenn sie ihren Geist aufzugeben droht. Lassen Sie sie nicht sterben, ehe ich da bin!«

 
     
Teil 3
Viatikum für die Marquise

1
    Im Jargon der Vampire bin ich ein Frühaufsteher. Kaum ist die Sonne am Horizont versunken, während der Himmel noch rot erglüht, stehe ich auf. Viele Vampire erheben sich dagegen nicht vor völligem Einbruch der Dunkelheit, und sie müssen auch mindestens eine Stunde vor mir wieder in ihre Gräber zurückkehren. Ein gewaltiger

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