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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kutschen und der Fenster in der Nachbarschaft umschmeichelte ihr gebrechliches Gesicht.
    »Erzähl mir was«, sagte sie sanft. »Erzähl mir, wie alles gekommen ist. Du hast uns alle so glücklich gemacht.« Sogar das Sprechen verursachte ihr Schmerzen. »Aber wie geht es dir? Dir!«
    Ich glaube, ich war nahe dran, ihr mit Hilfe all meiner Fähigkeiten ein Märchen aufzutischen. Ich hatte Sterbliche mit unsterblichem Geschick angelogen. Ich war drauf und dran, einen geschliffenen, wohlüberlegten Redeschwall vom Stapel zu lassen. Aber da passierte es.
    Irgend etwas in mir machte eine schmerzhafte Wandlung durch. Einen Moment lang sah ich eine ungeheure, erschreckende Möglichkeit vor mir, und im selben Augenblick stand mein Entschluß fest.
    Nicht, daß ich mir wirklich bewußt gewesen wäre, was ich vorhatte. Ich hatte keinen klaren Plan, den ich in Worte hätte fassen können. Und hätte mich jemand in diesem Augenblick gefragt, ich hätte glatt geleugnet und gesagt: »Nein, niemals, nichts liegt mir ferner. Für was für ein Monster halten Sie mich eigentlich?«
    Und dennoch, die Würfel waren gefallen.
    Sie hatte zu sprechen aufgehört, sie hatte wieder Angst und Schmerzen, und trotz der Schmerzen erhob sie sich von ihrem Sessel.
    Die Steppdecke glitt zu Boden, und ich wußte, daß sie auf mich zukam und daß ich sie daran hätte hindern sollen, aber ich tat es nicht.
    Ich sah noch, wie sich mir ihre Hände entgegenreckten, und schon war sie zurückgeschnellt, als hätte sie ein gewaltiger Windstoß angeweht.
    Sie war rückwärts über den Teppich getaumelt und hatte sich neben dem Sessel gegen die Wand fallen lassen. Aber sie war sofort ganz ruhig, und obwohl ihr Herz raste, war alle Angst aus ihrem Gesicht verschwunden und einer erstaunten Ruhe gewichen.
    Falls ich mir überhaupt etwas gedacht hatte, weiß ich nicht mehr, was. Ich näherte mich ihr so ruhig, wie sie mir entgegengekommen war, bis wir uns so nahe waren wie gerade zuvor. Sie starrte meine Haut und meine Augen an, hob plötzlich wieder ihre Hände und berührte mein Gesicht.
    »Nicht lebendig!« Das war ihre fürchterliche, unausgesprochene Erkenntnis. »In irgendwas verwandelt. Aber nicht lebendig.«
    Ganz ruhig sagte ich nein. Das war nicht richtig. Und ich sandte ihr einen kühlen Bilderstrom entgegen, eine Folge kurzer Einblicke in mein wahres Wesen, mein nächtliches Treiben in Paris.
    Rasselnd atmete sie aus. Der Schmerz ballte in ihr seine Faust, öffnete seine Klaue. Sie schluckte, durchbohrte mich buchstäblich mit ihren Blicken. Sie wußte jetzt, daß sie es nicht mit Sinnestäuschungen, sondern mit meinen konkreten Gedanken zu tun hatte.
    »Wie denn?« fragte sie.
    Und ohne mich um die Folgen zu scheren, weihte ich sie in meine Geschichte ein, Stück für Stück, wie ich durch das geborstene Fenster entrührt worden war von einem gespenstischen Wesen, das mich bis ins Theater verfolgt hatte. Ich verhehlte ihr nichts, weder den Turm noch die Blutspende, noch die Gruft, in der ich schlief, noch meine Streifzüge, meine Fähigkeiten und am wenigsten die Beschaffenheit meines Durstes. Der Geschmack des Blutes und das Gefühl, wenn es meine Kehle hinunterrann, und was es hieß, wenn alle Gier und Leidenschaft sich nur auf dieses eine Verlangen konzentrierten, wenn dieses eine Verlangen wieder und wieder frischer Nahrung und neuer Todesopfer bedurfte.
    Der Schmerz fraß sie auf, aber sie spürte ihn nicht mehr. Sie starrte mich an und schien nur noch aus ihren Augen zu bestehen. Ich drehte mich langsam um, so daß mein Gesicht voll im Licht der vorbeifahrenden Kutschen stand.
    Ohne den Blick von ihr zu wenden, ergriff ich den silbernen Kerzenleuchter auf der Fensterbank, hob ihn hoch und verbog ihn zwischen den Fingern zu Schlaufen und Schlingen.
    Die Kerzen fielen zu Boden.
    Sie verdrehte die Augen und taumelte fort von mir, und als sie mit ihrer Linken die Bettvorhänge zu fassen bekam, strömte Blut aus ihrem Mund. In lautlosem Husten kam es aus ihren Lungen. Sie sank auf die Knie, und das Blut ergoß sich über das Bett.
    Ich betrachtete das Silberding in meiner Hand mit all seinen blöden Verbiegungen, die nichts bedeuteten, und ließ es fallen. Und sie konnte sich nicht länger auf den Beinen halten, sank zu Boden, kämpfte gegen ihre Schmerzen an und wischte plötzlich mit einer schlaffen Bewegung über ihren Mund, wie ein Betrunkener, der sich gerade erbrochen hatte.
    Ich stand über ihr. Ich beobachtete sie, und ihr momentaner Schmerz

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