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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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anzuziehen oder sich wenigstens zu kämmen.
    »Was sagt er?« verlangte ich zu wissen.
    »Er spricht von Hexerei, Monsieur. Er meint, Sie verrügten über ungewöhnliche Fähigkeiten. Er spricht von der La Voisin und der Chambre Ardente, er spricht von dem alten Gerichtsfall unter dem Sonnenkönig, von der Hexe, die für den Hof als Giftmischerin tätig war.«
    »Wer glaubt denn heutzutage noch solchen Quatsch?« Ich täuschte echte Bestürzung vor. In Wahrheit standen mir die Nackenhaare zu Berge.
    »Monsieur, er äußert üble Dinge«, fuhr er fort. »Daß Ihresgleichen, wie er es nennt, jederzeit Zugang zu großen Geheimnissen habe. Er erwähnt dauernd einen Platz in Ihrem Heimatdorf, der Hexenplatz genannt wird.«
    »Meinesgleichen!«
    »Daß Sie Aristokrat seien, Monsieur«, sagte Roget. Es war ihm peinlich. »Wenn jemand so verärgert wie Monsieur de Lenfent ist, neigt man zu überspitzten Formulierungen. Aber er behält seine Verdächtigungen für sich. Er vertraut sich nur mir an. Er sagt, Sie würden verstehen, warum er Sie verachtet. Sie hätten sich geweigert, ihn an Ihren Entdeckungen teilhaben zu lassen. Ja, Monsieur, Ihren Entdeckungen. Er spricht immer wieder von der La Voisin, über Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich einer vernünftigen Erklärung entzögen. Er sagt, er wisse, warum Sie auf dem Hexenplatz in Tränen ausgebrochen seien.«
    Einen Moment lang konnte ich Roget nicht in die Augen blicken. Das war alles so eine hübsche Verdrehung der wahren Umstände. Und dennoch traf es den Nagel auf den Kopf. Einfach großartig und gleichzeitig völlig daneben! Auf seine Weise hatte Nicki recht.
    »Monsieur, Sie sind der gütigste Mensch…«, sagte Roget. »Verschonen Sie mich, bitte…«
    »Aber Monsieur de Lenfent behauptet Sachen, die wirklich zu weit gehen. Er habe gesehen, wie Sie von einer Pistolenkugel getroffen worden seien, die Sie hätte töten müssen.«
    »Die Kugel ging daneben«, sagte ich. »Roget, hören Sie damit auf. Schaffen Sie sie aus Paris fort, alle.«
    »Fortschaffen?« fragte er. »Aber Sie haben doch soviel Geld in dieses kleine Unternehmen gesteckt…«
    »Na und? Wen kümmert das?« sagte ich. »Schicken Sie sie nach London, in die Drury Lane. Bieten Sie Renaud genug, daß er sein eigenes Theater in London eröffnen kann. Von da aus können sie dann nach Amerika gehen - New Orleans, New York. Machen Sie das, Monsieur, egal, was es kostet. Schließen Sie mein Theater und schaffen Sie sie außer Landes!«
    Und dann müßte der Schmerz eigentlich verschwinden. Ich würde nicht mehr mit ihnen hinter der Bühne Zusammensein, würde nicht mehr an Lelio denken, den Jungen aus der Provinz, dem es Spaß machte, ihre Mülleimer zu leeren.
    Roget sah einigermaßen verwirrt aus. Wie fühlt man sich, wenn man für einen gutgekleideten Geisteskranken arbeitet, der einem dreifach überhöhtes Honorar zahlt, um gegen jede bessere Einsicht zu handeln?
    »Was Nicolas betrifft«, sagte ich, »so werden Sie ihn überreden, nach Italien zu ziehen, und ich werde Ihnen sagen, wie Sie das anstellen sollen.«
    »Monsieur, ihn auch nur zu überreden, mal frische Wäsche anzuziehen, ist schon menschenunmöglich.«
    »Das jetzt wird einfacher. Sie wissen doch, wie krank meine Mutter ist. Bringen Sie ihn dazu, sie nach Italien zu begleiten. Er kann am Konservatorium von Neapel Musik studieren, in genau der Stadt, die ich für meine Mutter vorgesehen habe.«
    »Er schreibt ihr Briefe… ist sehr angetan von ihr.«
    »Eben. Überzeugen Sie ihn, daß sie ohne ihn diese Reise niemals machen würde. Bereiten Sie alles vor. Monsieur, da darf nichts schieflaufen. Er muß Paris verlassen. Sie haben bis zum Wochenende Zeit, dann werde ich kommen, um zu hören, daß er abgereist ist.«
    Natürlich war das ziemlich viel verlangt. Aber ich hatte keine andere Wahl. Niemand würde Nickis Gerede über Hexerei Glauben schenken, da hatte ich keine Sorgen. Aber ich wußte, daß Nicki, wenn er in Paris bliebe, langsam den Verstand verlieren würde.
    Die Nächte vergingen, Nächte, in denen ich mich jede wache Minute zwingen mußte, ihn nicht aufzusuchen.
    Ich wartete einfach zu, wohl wissend, daß ich ihn für immer verlieren und er die wahren Gründe nie erfahren würde. Ausgerechnet ich, der einst gegen die Sinnlosigkeit unseres Daseins gewettert hatte, verjagte ihn ohne jede Erklärung, eine Ungerechtigkeit, die ihn vielleicht bis ans Ende seiner Tage quälen würde.
    Immer noch besser als die Wahrheit, Nicki.

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