Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Vorteil für mich.
So war ich denn am nächsten Abend schon auf dem Weg nach Paris, als der Himmel noch in Flammen stand. Ich hatte meinen Sonntagsstaat bereits angelegt, ehe ich mich in meinen Sarkophag begab, und jetzt jagte ich der Sonne gen Westen, gen Paris, nach.
Die Stadt schien zu brennen, so hell und furchterregend war das Licht, bis ich schließlich über die Brücke zur Ile St.-Louis donnerte. Ich überlegte nicht, was ich meiner Mutter erzählen oder wie ich ihr meine wahre Natur verbergen sollte. Ich wußte nur, daß ich sie sehen und in Armen halten mußte, solange noch Zeit war. Ich vermochte nicht an ihren Tod zu denken. Und wie ein gewöhnlicher Sterblicher redete ich mir ein, daß sich alles zum Guten wenden würde, gelänge es mir nur, ihr ihren letzten Wunsch zu erfüllen.
Am Himmel verblutete das letzte Licht in der Dämmerung, als ich ihr Haus an den Quais fand. Eine stattliche Villa. Roget hatte gute Arbeit geleistet, und an der Haustür wartete bereits ein Diener, um mich nach oben zu führen. Zwei Dienstmädchen und eine Krankenschwester waren im Salon der Wohnung.
»Monsieur de Lenfent ist bei ihr, Monsieur«, sagte die Krankenschwester. »Sie bestand darauf, sich für Ihren Empfang anzukleiden. Sie wollte am Fenster sitzen und den Blick auf die Türme von Notre Dame genießen, Monsieur. Sie sah Sie über die Brücke reiten.«
»Löschen Sie alle Kerzen in ihrem Zimmer, bis auf eine«, sagte ich. »Und bitten Sie Monsieur de Lenfent und meinen Anwalt zu mir.
Roget kam sofort heraus, und dann erschien Nicolas. Auch er hatte sich für sie in Schale geworfen, trug knallroten Samt zu seinem alten Prachtleinen und den weißen Handschuhen. Durch die Alkoholexzesse der letzten Zeit war er schlanker geworden, er sah fast abgezehrt aus. Und doch ließ ihn das nur noch schöner erscheinen. Als sich unsere Blicke trafen, traf mich sein Groll mitten ins Herz.
»Die Marquise fühlt sich heute ein wenig besser, Monsieur«, ‘ sagte Roget. »Aber sie blutet wirklich schlimm. Die Ärzte meinen, daß sie kaum…« Er unterbrach sich und sah zum Schlafzimmer. Seine Gedanken verrieten mir, daß sie die Nacht nicht überleben würde. »Bringen Sie sie so schnell wie möglich wieder zu Bett, Monsieur.«
»Und wozu sollte das gut sein?« fragte ich mit dumpfer Stimme. »Vielleicht will sie an diesem verdammten Fenster sterben. Warum auch nicht, zum Teufel noch mal?!«
»Monsieur!« beschwor mich Roget.
Ich wollte ihn bitten, zusammen mit Nicki wegzugehen. Aber da widerfuhr mir etwas, was mich daran hinderte. Ich ging zurück in die Eingangshalle und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Und da saß sie. Eine dramatische physische Veränderung ging in mir vor. Ich konnte mich nicht bewegen, und ich konnte nicht sprechen. Sie saß da drinnen und war am Sterben.
All die kleinen Geräusche in der Wohnung gingen in ein Summen über. Durch die Doppeltür sah ich ein wunderhübsches Schlafzimmer, ein weißes Bett mit goldenen Vorhängen, und in den hohen Fenstern hing der Himmel mit seinen verblassenden goldenen Strichwölkchen. Aber irgendwie haftete all dem etwas Schreckliches an da war der Luxus, den ich ihr immer gewünscht hatte, und sie saß mittendrin und wußte genau, daß ihr Körper jede Sekunde versagen konnte. Ich hätte gerne gewußt, ob sie darüber wütend war oder ob sie einfach nur lachte.
Der Arzt kam, gefolgt von der Krankenschwester, die mir versicherte, daß nur noch eine Kerze brenne, ganz wie ich befohlen habe. Der Geruch der Arzneien mischte sich mit Rosenparfum, und ich merkte, daß ich ihre Gedanken hörte.
Das dumpfe Pochen ihres Geistes, während sie wartete – mit schmerzenden Knochen in ihrem ausgemergelten Fleisch. Obgleich sie in einem weichgepolsterten Sessel am Fenster saß und in eine Decke gehüllt war, hatte sie höllische Qualen auszustehen.
Aber worum kreisten ihre Gedanken, abgesehen von der verzweifelten Vorahnung? Lestat, Lestat, Lestat - das konnte ich hören. Aber dann noch: »Laß die Schmerzen schlimmer werden, weil ich nur sterben will, wenn die Qualen wirklich unerträglich sind. Würden sie doch so schlimm werden, daß ich gerne sterbe und nicht mehr solche Angst habe! O wenn ich nur keine Angst mehr hätte!«
»Monsieur.« Der Arzt berührte meinen Arm. »Sie möchte keinen geistlichen Beistand.«
»Nein… möchte sie wohl nicht.«
Sie hatte ihren Kopf der Tür zugewandt. Ginge ich jetzt nicht hinein, würde sie ungeachtet ihrer Schmerzen aufstehen und
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