Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Galopp an.
    Als wir die Brücke überquerten, gewahrte ich hinter uns einen Tumult, einen Aufruhr sterblicher Seelen. Aber da tauchten wir schon in die undurchdringlichen Schatten der Ile de la Cité ein.
    Nachdem wir den Turm erreicht hatten, zündete ich die Harzfackel an und führte Gabrielle in das Verlies. Die Zeit reichte nicht mehr, ihr die obere Kammer zu zeigen.
    Sie hatte glasige Augen, und sie sah sich gelangweilt um, als wir die Wendeltreppe hinabstiegen. Ihre scharlachrote Kleidung hob sich leuchtend gegen die dunklen Steine ab. Die Feuchtigkeit war ihr sichtlich unangenehm.
    Der Gestank aus den Gefängniszellen verwirrte sie, aber ich beruhigte sie. Und als wir erst einmal in der großen Grabkammer waren, schottete uns die schwere Platte von dem Geruch ab.
    Die Fackel beleuchtete die Deckengewölbe und die drei gewaltigen Sarkophage mit ihren auf sie gemeißelten Bildnissen.
    Gabrielle hatte offenbar keine Angst. Ich sagte ihr, sie solle einmal versuchen, die Steinplatte von dem Sarkophag zu heben, den sie für sich haben wolle. Vielleicht müsse aber auch ich das für sie tun.
    Sie nahm die drei Figuren in Augenschein. Und nachdem sie kurz überlegt hatte, entschied sie sich nicht für den Sarkophag der Frau, sondern für den mit dem steinernen Ritter in seiner Rüstung. Und langsam schob sie die Platte zur Seite, um das Innere zu betrachten.
    Nicht so stark wie ich, aber stark genug.
    »Hab keine Angst«, sagte ich.
    »In dieser Hinsicht brauchst du dir bestimmt keine Sorgen zu machen«, antwortete sie sanft. In ihrer Stimme klang ein ferner Anflug von Traurigkeit mit. Sie schien zu träumen, als sie mit den Händen über den Stein fuhr.
    »Zu dieser Stunde«, sagte sie, »wäre sie wohl schon aufgebahrt, deine Mutter. Und das Zimmer würde von üblen Gerüchen und dem Rauch Hunderter von Kerzen überquellen. Ist der Tod nicht etwas schrecklich Demütigendes? Wildfremde hätten sie ausgezogen, gewaschen, neu eingekleidet - Wildfremde hätten sie begleitet, wenn sie sich ausgemergelt und hilflos auf den Weg zum großen Schlaf begeben hätte. Und flüsternd hätten sie in den Fluren über ihre Gesundheit gesprochen und daß in ihren Familien nie jemand krank gewesen sei, nein, keine Spur von Schwindsucht in ihren Familien. >Die arme Marquise<, hätten sie gesagt. Hat sie wohl Geld gehabt? Hat sie es Ihren Söhnen vermacht? Und wenn die alte Dienerin gekommen wäre, um das verschmutzte Bett abzuziehen, hätte sie einen Ring von der Hand der Toten gestohlen.«
    Ich nickte. Statt dessen sind wir in dieser Gruft, wollte ich sagen, und sind dabei, uns in Gesellschaft von Ratten in steinerne Betten zu legen. Ist doch zehnmal besser, oder? Hat was von finsterer Größe, in alle Ewigkeit durch die Gefilde eines Nachtmahrs zu schreiten.
    Sie sah bleich und erkaltet aus. Müde zog sie etwas aus ihrer Tasche. Es war die goldene Schere, die sie von dem Frisiertisch in St-Germain genommen hatte. Das Ding funkelte im Licht der Fackel.
    »Nein, Mutter!«, rief ich. Meine Stimme brach sich in den Deckengewölben. Die Figuren auf den Sarkophagen erschienen mir wie gnadenlose Zeugen.
    Ein gräßlich klingendes Schnippschnapp, und ein Stich durchfuhr mein Herz. Ihr Haar sank in großen, langen Locken zu Boden.
    »Oooooh, Mutter!«
    Sie schubste die Locken mit ihrer Stiefelspitze umher, und dann sah sie zu mir auf, und jetzt hatte sie sich vollends in einen Jüngling verwandelt. Aber ihre Augenlider fielen allmählich zu. Sie streckte mir die Arme entgegen, und die Schere entglitt ihrer Hand.
    »Nur noch schlafen«, flüsterte sie.
    »Es ist nur die aufgehende Sonne«, beruhigte ich sie. Ihre Kräfte schwanden schneller als meine. Sie wandte sich von mir ab und ging auf den Sarg zu. Ich hob sie hoch, und sie schloß ihre Augen. Ich schob den Sarkophagdeckel noch weiter zurück und legte sie hinein, wobei ihre geschmeidigen Glieder ganz von selbst die bequemste Lage fanden.
    Der Schlaf hatte ihre Züge bereits sanft geglättet, Knabenlocken umrahmten ihr Gesicht.
    Sie schien tot zu sein, bar jeglicher Magie.
    Ich konnte meine Blicke nicht von ihr reißen. Ich biß mir in die Zungenspitze, bis das heiße Blut hervorquoll. Dann beugte ich mich über sie und ließ das Blut auf ihre Lippen tropfen. Ihre Augen öffneten sich. Blauviolett und funkelnd starrten sie mich an. Das Blut floß in ihren geöffneten Mund, und langsam hob sie ihren Kopf, um meinen Kuß entgegenzunehmen. Meine Zunge drang in sie. Ihre Lippen waren kalt.

Weitere Kostenlose Bücher