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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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eine gewisse geistige Erschöpfung. Ich sehnte mich nach Ruhe, wollte alles überdenken. Aber sie lechzte nach neuen Abenteuern.
    Sie schlug vor, erst einmal in Wohnungen von Sterblichen nach geeigneter Kleidung für sie zu suchen. Sie lachte, als ich sagte, daß ich meine Kleidung stets auf ehrliche Weise zu erwerben pflegte.
    »Wir können hören, ob ein Haus leer ist«, sagte sie und huschte durch die Straßen, ihre Blicke auf die Fenster der dunklen Villen geheftet. »Wir können hören, ob die Diener schlafen.«
    Das stimmte zwar, und doch wäre mir derlei nie in den Sinn gekommen. Aber wenig später folgte ich ihr auf engen Hintertreppen und durch teppichbelegte Flure und war von den kleinen Dingen in den Zimmern der Sterblichen fasziniert. Es gefiel mir, persönliche Gegenstände anzufassen: Fächer, Schnupftabakdosen, die Zeitung, die der Hausherr gelesen hatte, seine Stiefel neben der Feuerstelle. Das machte ebensoviel Spaß, wie durch die Fenster zu spähen.
    Aber sie verfolgte unbeirrt ihr Ziel. Im Ankleidezimmer eines großen Hauses in St.-Germain fand sie endlich eine betörende Auswahl prächtigster Kleider, die ihrem neu erblühten Körper paßten. Ich half ihr, sich des alten Taftzeugs zu entledigen und in rosa Samt zu schlüpfen und ihr Haar in schmucke Löckchen zu legen, ehe sie einen mit Straußenfedern geschmückten Hut aufsetzte. Wieder erschreckte mich ihr Anblick, und es war ein seltsam unheimliches Gefühl, mit ihr durch dieses überreich möblierte Haus voller sterblicher Gerüche zu wandern. Sie nahm sich ein paar Sachen von der Frisierkommode. Ein Fläschchen Parfüm, eine kleine, goldene Schere. Sie betrachtete sich im Spiegel.
    Ich küßte sie wieder, und sie ließ es zu. Wir waren ein Liebespaar, ein blaßgesichtiges Liebespaar, das sich küßte und dann durch den Dienstboteneingang auf die nächtliche Straße huschte.
    Kurz darauf statteten wir der Opera und der Comédie einen Besuch ab, ehe sie schlössen, und dann dem Ballfest im Palais Royal. Sie war entzückt darüber, wie die Sterblichen uns sahen, ohne uns wirklich zu sehen, wie sie sich von uns angezogen fühlten und sich so vollkommen täuschen ließen.
    Danach durchstreiften wir die Kirchen und hörten plötzlich sehr deutlich die Anwesenheit, aber nur kurz. Wir bestiegen Glockentürme, um die Aussicht auf unser Königreich zu genießen, dann pferchten wir uns eine Zeitlang in überfüllte Cafes, nur um die Sterblichen um uns zu spüren und zu riechen, um heimliche Blicke auszutauschen und in uns hineinzulachen.
    Sie geriet ins Träumen, während sie in den Dampf blickte, der von der Kaffeetasse aufstieg, in den Tabakqualm, der um die Lampen schwelte.
    Die dunklen, leeren Straßen und die frische Luft mochte sie lieber als alles andere. Sie wollte wieder auf die Dachfirste klettern. Sie wunderte sich, daß ich meinen Weg durch die Stadt nicht immer über die Dächer nahm oder auf Kutschendächern, wie wir es zuvor getan hatten.
    Kurz nach Mittemacht gingen wir Hand in Hand über den menschenleeren Marktplatz. Wir hatten gerade wieder die Anwesenheit gehört, aber diesmal konnten wir nichts Feindseliges ausmachen. Das verwirrte mich. Noch immer setzte sie alles um uns hemm in Erstaunen - der Müll, die streunenden Katzen, die sonderbare Ruhe, der Umstand, daß selbst die finstersten Ecken der Metropole für uns ungefährlich waren. Vielleicht gefiel ihr das sogar am besten, daß wir mit Leichtigkeit jeden bezwingen konnten, der dumm genug war, sich mit uns anzulegen, daß wir beide sichtbar und unsichtbar zugleich waren, daß man uns anfassen, aber nicht erfassen konnte.
    Und als ein hübscher schlanker Jüngling durch die leeren Verkaufsstände geritten kam, sah ich ihn an, als sei er eine Erscheinung, jemand, der aus dem Reich der Lebendigen in das Reich der Toten kam. Mit seinem dunklen Haar und seinen dunklen Augen erinnerte er mich an Nicolas. Er hätte sich nicht allein auf den Markt wagen sollen. Er war jünger als Nicki und wirklich sehr leichtsinnig. Aber wie leichtsinnig er war, merkte ich erst, als sie wie eine große Katze vorhechtete und ihn fast geräuschlos vom Pferd holte.
    Ich war entsetzt. Die Unschuld ihrer Opfer scherte sie nicht im geringsten. Sie hatte keinerlei moralische Bedenken. Aber was berechtigte eigentlich mich, sie zu kritisieren? Dennoch, wie selbstverständlich sie den jungen Mann umbrachte, wie anmutig sie ihm das Genick brach, da er nach dem kleinen Schluck Blut, mit dem sie sich begnügt

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