Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
hier rum?« sagte sie, als wir die Treppe zusammen herunterkamen. »Warum machen wir uns nicht nach Paris auf?«
Irgend etwas stimmte nicht mit ihr, so zauberhart sie auch war, irgend etwas war nicht in Ordnung… aber was?
Sie wollte jetzt nicht geküßt werden, und sie wollte auch nicht reden. Und das war ein klein wenig schmerzlich.
»Ich möchte dir die Kammer zeigen«, sagte ich. »Und den Schmuck.«
»Den Schmuck?« fragte sie.
Vom Fenster aus hatte sie ihn nicht gesehen; der Deckel der Truhe hatte ihr die Sicht versperrt. Jetzt ging sie vor mir in das Zimmer, in dem Magnus sich verbrannt hatte, und dann legte sie sich hin, um durch den Tunnel zu robben.
Als sie der Truhe ansichtig wurde, war sie wie vom Donner gerührt. Sie beugte sich sogleich über all die Schätze, die Broschen, die Ringe, den ganzen Zierat, in Erinnerung an jene Erbstücke versunken, die sie vor langer Zeit Stück für Stück hatte veräußern müssen.
»Wirklich, er muß Jahrhunderte daran gesammelt haben«, sagte sie. »Und so erlesene Sachen. Er war ganz schön wählerisch, was? Er muß schon ein sagenhafter Typ gewesen sein.«
»Sieh dir nur diese Perlen an«, sagte ich. »Und diese Ringe.« Ich zeigte ihr die, die ich bereits für sie ausgewählt hatte. Ich ergriff ihre Hand und streifte ihr die Ringe über. Ihre Finger bewegten sich, als seien sie selbständige Lebewesen, die Freude empfinden konnten. Und wieder lachte sie.
»Ach, wir sind schon so zwei Teufel, was?«
»Jäger im Wilden Garten«, sagte ich.
»Dann laß uns nach Paris gehen«, sagte sie. Ein Anflug von Schmerz in ihrem Gesicht. Der Durst. Sie ließ ihre Zunge über die Lippen gleiten. Faszinierte ich sie nur halb soviel wie sie mich? Sie strich sich das Haar aus der Stirn, und ihre Augen verfinsterten sich im selben Maß wie ihre Worte.
»Ich möchte heute nacht ganz früh speisen«, sagte sie, »und dann raus aus der Stadt und in die Wälder! Da, wo keine Männer und Frauen sind. Da, wo nur Wind und schwarze Bäume sind und über uns die Sterne. Da, wo nur segensreiche Ruhe ist.«
Sie ging zum Fenster. Ihr Rücken war schmal und aufrecht, und die Ringe durchpulsten ihre Hände mit Leben. Und im Kontrast zu den klobigen Ärmeln wirkten ihre Hände noch zarter und feingliedriger, als sie ohnehin schon waren. Sie blickte wohl zu den hohen, blassen Wolken, den Sternen, die durch den purpurroten Abendnebel glimmten.
»Ich muß zu Roget«, murmelte ich, »muß mich um Nicki kümmern, ihnen eine Lüge über dein Verschwinden auftischen.«
Sie drehte sich um, sah mich eiskalt an, wie damals zu Hause, wenn sie über irgend etwas wütend war. »Warum ihnen was über mich erzählen?« fragte sie. »Warum sich noch einen Deut um sie kümmern?«
Ich war entsetzt. Aber nicht wirklich überrascht. Vielleicht hatte ich nur darauf gewartet. Vielleicht hatte ich diese unausgesprochenen Fragen schon lange erwartet.
Ich wollte sagen, Nicki saß an deinem Bett, als du im Sterben lagst, bedeutet das denn gar nichts? Aber das hätte so blödsinnig nach der Sentimentalität der Sterblichen geklungen. Und doch war es alles andere als blödsinnig.
»Ich will dich nicht kritisieren«, sagte sie. Sie verschränkte ihre Arme und lehnte sich gegen das Fenster. »Ich versteh’ das einfach nicht. Warum hast du uns geschrieben? Warum hast du uns mit Geschenken überhäuft? Warum hast du nicht einfach dein Glück beim Schopf gepackt, um damit abzuhauen?«
»Aber wohin denn?« fragte ich. »Weg von allen, die ich gekannt und geliebt hatte? Ich wollte nicht aufhören, an dich, an Nicki, sogar an meinen Vater und an meine Brüder zu denken. Ich hab’ gemacht, was ich tatsächlich wollte.«
»Dein Gewissen hat dabei keine Rolle gespielt?«
»Wenn man seinem Gewissen folgt, macht man das, was man eigentlich will«, sagte ich. »Aber es war noch einfacher. Ich wollte dich an meinem Reichtum teilhaben lassen. Ich wollte, daß du… daß du glücklich bist.«
Sie dachte lange nach.
»Hättest du vielleicht gewollt, daß ich dich vergesse?« fragte ich erbost.
Sie antwortete nicht sofort. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie dann. »Und wenn es umgekehrt gewesen wäre, hätte ich dich auch niemals vergessen. Da bin ich ganz sicher. Aber die anderen? Die sind mir keinen Pfifferling wert. Ich werde nie wieder ein Wort mit ihnen wechseln. Ich werde sie keines Blickes mehr würdigen.«
Ich nickte. Aber ich haßte, was sie da sagte. Sie jagte mir Angst ein.
»Ich muß immerzu daran
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