Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
auf. Ihre Schreie brachen sich gespenstisch in der kleinen Zelle. Ich prallte zurück und starrte sie einen Moment lang an. Wie eine Traube Fledermäuse hingen sie am Gitter, aber sie waren keine Fledermäuse. Sie waren Vampire, Vampire in Menschengestalt, so wie wir.
Schwarze Augen fixierten uns, Augen unter verdrecktem Haarwust, und das Geheul schwoll an und wurde grimmiger, und schmutzverkrustete Finger umkrallten die Eisenstäbe. Ihre Kleidung bestand nur aus ausgebleichten Lumpen. Und sie verströmten Friedhofsgeruch.
Gabrielle schlug das Feuerholz gegen die Wand und sprang zurück, da sie sie zu packen trachteten. Sie bleckten ihre Fangzähne. Sie kreischten. Hände grapschten nach den Scheiten, um sie uns an den Kopf zu werfen. Mit vereinten Kräften zerrten sie an dem Gitter, wollten es aus den Steinen reißen.
»Hol die Zunderbüchse«, rief ich. Ich hob einen kräftigen Scheit auf und stieß ihn in das nächstbeste Gesicht, und ohne Mühe vermochte ich das Wesen von der Mauer zu werfen. Schwächlinge. Es fiel schreiend in die Tiefe, aber die anderen hielten den Scheit umklammert und rangen mit mir, während ich einen weiteren kleinen Drecksdämon verjagte. Dann hatte Gabrielle das Feuerholz entfacht, und die Flammen loderten auf. Das Geheul wich einem Wirrwarr höchst alltäglicher Worte: »Feuer, nichts wie weg und runter, haut ab, ihr Idioten! Runter, runter. Das Gitter ist heiß! Schnell weg!«
Ganz normales Französisch! Mehr noch, eine anschwellende Flut recht derben Vokabulars. Ich brach in Gelächter aus, stampfte auf und zeigte auf sie, während ich Gabrielle ansah.
»Verflucht seist du, Gotteslästerer!« schrie einer noch. Dann umzüngelte das Feuer seine Hände, und er stürzte aufheulend hinab.
»Verflucht seien die Gottlosen, die Galgenvögel!« drangen die Schreie von unten empor. Sie vereinigten sich zu einem regelrechten Chor. »Verflucht seien die Galgenvögel, die es gewagt haben, den Tempel Gottes zu betreten!« Aber sie sackten wie die Fliegen nach unten. Der Holzhaufen stand in Flammen, das Feuer flackerte zur Decke.
»Geht zurück zum Friedhof, wo ihr hergekommen seid, ihr Faxenmacher!« rief ich und hätte ihnen die flammenden Scheite nachgeworfen, wenn der Weg zum Fenster nicht versperrt gewesen wäre.
Gabrielle stand stillschweigend da, die Augen ruhig zusammengekniffen, und hörte offenbar zu.
Von unten tönte weiter Geschrei und Geheul herauf. Ein neuer Choral von Verfluchungen auf alle, die angeblich die heiligen Gesetze übertreten, gelästert und den Zorn Gottes und des Satans heraufbeschworen hatten. Sie zerrten an den Toren und den unteren Fenstern. Sie warfen Steine gegen die Mauer.
»Sie können nicht rein«, sagte Gabrielle mit dumpfer Stimme. »Sie können das Tor nicht zertrümmern.«
Da war ich mir nicht so sicher. Das Tor war uralt und morsch. Es blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Erschöpft ließ ich mich auf den Boden sinken, die Seite gegen den Sarkophag gelehnt, die Arme über der Brust verschränkt, den Rücken gekrümmt. Mir war sogar das Lachen vergangen.
Gabrielle ließ sich ebenfalls nieder, setzte sich mit gespreizten Beinen an die Wand. Ihre Brust hob und senkte sich ein wenig, und ihr Haar löste sich. Es stand wie die Brillenzeichnung einer Kobra um ihr Gesicht, und lose Strähnen schmiegten sich an ihre weißen Wangen. Ihre Kleider waren voller Ruß.
Die Hitze des Feuers war erdrückend. Der dichtverschlossene Raum war rauchdurchschwängert, und die Flammen schössen hoch und sperrten die Nacht aus. Aber das bißchen übrige Luft genügte uns zum Atmen. Wir litten nur unter der Hitze und unserer Erschöpfung.
Und langsam merkte ich, daß sie recht hatte - es war ihnen nicht gelungen, das Tor zu zertrümmern. Ich hörte sie den Rückzug antreten.
»Möge der Zorn Gottes die Ungläubigen strafen!«
Dann tat sich plötzlich irgendwas bei den Ställen. Und ich sah vor meinem inneren Auge, wie der arme, schwachsinnige, sterbliche Stalljunge aus seinem Versteck gezogen wurde, und meine Wut verdoppelte sich. In Gedankenübertragung sandten sie mir die Bilder seiner Ermordung. Verdammt seien sie.
»Bleib ganz ruhig«, sagte Gabrielle. »Zu spät.«
Sie kniff ihre Augen zusammen und lauschte nach draußen. Er war tot, der arme, geschundene Kerl.
Ich gewahrte seinen Tod, als hätte ich einen kleinen, dunklen Vogel plötzlich von den Ställen auffliegen sehen. Und sie beugte sich vor, als würde sie ihn auch sehen, und sank dann wie
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