Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
sagst du das?< Aber ich konnte nicht. Ich starrte in den Garten.
»Ich glaube, er lebt«, sagte sie. »Und daß sie ihn gefangenhalten. Sonst hätten sie einfach seinen Leichnam dahin gelegt und dem Stalljungen nichts getan.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Ich mußte meinen Mund regelrecht zwingen, die Worte zu formen.
»Der Rock war eine Botschaft.«
Ich hielt es nicht mehr aus. »Ich werde es ihnen zeigen«, sagte ich. »Willst du zum Turm zurück? Wenn ich da versage…«
»Ich habe nicht die Absicht, dich allein zu lassen«, sagte sie.
Als wir den Boulevard du Temple erreichten, platterte der Regen nieder, und auf dem nassen Pflaster schwammen die Lichter der Laternen.
Meine strategischen Überlegungen waren mehr vom Instinkt als von Vernunft bestimmt. Und ich war so kampfbereit wie noch nie. Aber wir mußten erst herausfinden, woran wir waren. Wie viele gab es überhaupt? Und was wollten sie wirklich? Wollten sie uns fangen und vernichten oder uns nur in Furcht und Schrecken versetzen und verjagen? Ich mußte meine Wut zügeln, mußte mir ins Gedächtnis rufen, daß sie kindisch waren, abergläubisch und denkbar leicht zu verwirren und zu verängstigen.
Kaum hatten wir die alten Mietshäuser in. der Gegend, von Notre Dame erreicht, hörte ich sie ganz in unserer Nähe, eine Schwingung wie ein Silberblitz, der gleich wieder verschwand. Gabrielle richtete sich auf, und ich spürte ihre Linke an meinem Handgelenk. Ihre rechte Hand schnellte zum Griff ihres Degens.
Wir waren in eine dunkle, krumme Seitengasse eingebogen, die Pferdehufe zerklapperten die Stille, und ich mußte aufpassen, daß mich das Geräusch nicht völlig entnervte.
Wir sahen sie offenbar gleichzeitig.
Gabrielle drückte sich an mich, und mir blieb ein Entsetzensschrei in der Kehle stecken, der beinahe meine Angst verraten hätte. Hoch über uns, zu beiden Seiten der Gasse, tauchten ihre weißen Gesichter hinter den Dachgesimsen auf, ein schwacher Schein in dem lautlosen Silbergeniesel.
Ich trieb das Pferd an. Oben huschten sie wie kleine Ratten über die Dächer. Sie stimmten ein piepsendes Geheul an, das Sterbliche niemals hätten hören können.
Gabrielle unterdrückte einen Schrei, als wir sie mit ihren weißen Armen und Beinen die Mauern vor uns heruntersteigen sahen, und hinter uns hörte ich auf dem Pflaster das sanfte Getrappel ihrer Füße.
»Vorwärts!« rief ich, und meinen Degen ziehend, setzte ich über die beiden zerlumpten Gestalten, die sich uns in den Weg geworfen hatten, hinweg. »Verdammte Dinger, weg dal« schrie ich und hörte ihr Geschrei unter mir.
Einen Augenblick lang erhaschte ich ein paar gepeinigte Gesichter. Die über uns verschwanden, und die hinter uns schienen schlappzumachen, und wir stürmten vorwärts, vergrößerten den Abstand zwischen uns und unseren Verfolgern, bis wir endlich den menschenleeren Place de Créve erreichten.
Aber sie rotteten sich an der Peripherie des Platzes wieder zusammen, und diesmal hörte ich all ihre Gedanken. So wollte einer wissen, über welche Kräfte wir schon groß verfügten, und warum sie eigentlich Angst haben sollten, und ein anderer bestand darauf, sich langsam an uns heranzuarbeiten.
In diesem Moment ging offenbar eine gewisse Gewalt von Gabrielle aus, da sie buchstäblich auf den Rücken fielen, als sie einen Blick in ihre Richtung schleuderte und ihren Degen noch fester umklammerte.
»Bleib stehen und halte sie dir vom Leib!« flüsterte sie. »Ein gewaltiger Schreck ist in sie gefahren.« Dann hörte ich sie fluchen, da aus den Schatten des Hôtel-Dieu mindestens sechs kleine Dämonen wehkreischend und mit flatternden Haaren auf uns zugeflogen kamen, die Glieder notdürftig in Lumpen gehüllt. Sie peitschten die anderen wieder auf. Wir waren von gefährlich anschwellender Niedertracht umzingelt.
Das Pferd bäumte sich auf und hätte uns beinahe abgeworfen. Sie befahlen ihm stehenzubleiben, während ich ihm strammen Galopp befahl.
Zuletzt legte ich meinen Arm um Gabrielles Hüfte, sprang vom Pferd und rannte so schnell ich konnte zu den Portalen von Notre Dame.
Ein entsetzlicher Schwall aus Gejammer und Geschrei und Drohungen drang stumm in meine Ohren: »Untersteht euch, untersteht euch!«
Ihre Bosheit traf uns wie die Hitze aus einem Schmelzofen, während ihre Füße um uns pochten und platschten und ihre Hände nach meinem Degen und meinem Rock grapschten.
Aber ich wußte, was geschehen würde, hatten wir erst einmal die Kirche erreicht.
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