Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
weißes, in Leder gebundenes Buch! Ein Rosenkranz und eine Puppe, eine sehr alte Porzellanpuppe.
Einen Moment zögerte sie, diese Sachen zu berühren. Es wäre ihr wie Grabschändung vorgekommen. Ein leichter Parfumduft entströmte der Nische. Sie träumte doch nicht, oder? Nein, bei solchen Kopfschmerzen hatte man keine Träume. Als erstes griff sie nach der Puppe.
Der Rumpf war einigermaßen primitiv, doch die hölzernen Glieder waren gut proportioniert und ausgearbeitet. Das weiße Kleid und die lavendelfarbene Schärpe zerfielen in kleine Stücke. Aber der Porzellankopf war äußerst hübsch mit seinen großen blauen Augen und seiner blonden, wallenden Perücke.
»Claudia«, flüsterte sie.
Ihre Stimme machte ihr die Stille ringsumher bewußt. Keine Verkehrsgeräusche mehr zu dieser Stunde. Nur das Knarren der Balken und Bretter. Und das beruhigende Flackern der Öllampe beim Tisch. Und dann das Cembalo von irgendwoher, jemand spielte jetzt Chopin, den Minutenwalzer, mit derselben betörenden Virtuosität, die sie schon zuvor vernommen hatte. Sie saß ganz ruhig da, betrachtete die Puppe in ihrem Schoß. Sie wollte das Haar der Puppe kämmen, ihre Schärpe herrichten.
Die Höhepunkte aus dem Gespräch mit dem Vampir fielen ihr wieder ein. Claudia in Paris vernichtet. Claudia vom tödlichen Sonnenlicht in einem Luftschacht überrascht, dem sie nicht entrinnen konnte. Ein dumpfer Schreck durchfuhr Jesse, ihr Herz klopfte bis zum Hals. Claudia dahingegangen, während die anderen weitermachten. Lestat, Louis, Armand…
Dann bemerkte sie, daß sie den Blick auf die anderen Sachen in der Nische geheftet hatte. Sie griff nach dem Buch. Ein Tagebuch, die Seiten brüchig, mit Stockflecken übersät. Aber die altmodische Schrift war noch zu entziffern, zumal alle Öllampen entzündet waren und den Raum in ein anheimelndes Licht tauchten. Mühelos konnte sie aus dem Französischen übersetzen. Der erste Eintrag stammte vom 21. September 1836:
Das ist mein Geburtstagsgeschenk von Louis. Ich soll damit machen, was ich will, sagt er. Aber vielleicht sollte ich hier meine Gelegenheitsgedichte eintragen und sie ihm ab und zu vorlesen.
Ich weiß nicht so recht, was unter Geburtstag zu verstehen ist.
Wurde ich an einem 21. September in diese Welt geboren, oder habe ich an diesem Datum alles Menschliche abgestreift, um das zu werden, was ich jetzt bin?
Meine Herren Eltern weigern sich standhaft, diese schlichten Fragen zu beantworten. Man könnte es für geschmacklos halten, daß man sich damit überhaupt befaßt. Louis sieht verwirrt und elend aus, ehe er sich wieder der Nachtausgabe der Zeitung zuwendet. Und Lestat, der lächelt nur und spielt mir dann ein bißchen Mozart vor und antwortet schulterzuckend: »Es war der Tag, an dem du um geboren wurdest.«
Natürlich hat er mir wieder eine Puppe geschenkt, die aussieht wie ich und die, wie stets, ein Duplikat meines neuesten Kleides trägt. Er läßt mich wissen, daß er diese Puppen extra aus Frankreich bestellt. Und was soll ich mit ihnen anfangen? Damit spielen, als sei ich tatsächlich ein kleines Kind?
»Verbindest du damit eine Botschaft, mein geliebter Vater?« fragte ich ihn heute abend. »Daß ich selbst für immerund ewig eine Puppe bleiben soll?« Im Lauf der Jahre hat er mir dreißig solcher Puppen geschenkt, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Jede Puppe sieht genau wie alle anderen aus. Mein Schlafzimmer würde von ihnen überquellen, wenn ich sie behalten würde. Aber ich behalte sie nicht. Früher oder später verbrenne ich sie. Mit dem Schürhaken zertrümmere ich ihre Porzellangesichter. Ich sehe zu, wie das Feuer ihr Haar auffrißt. Ich kann nicht sagen, daß ich das gerne tue. Schließlich sind diese Puppen schön. Und sie ähneln mir. Doch glaube ich angemessen zu handeln. Die Puppe erwartet es. Also mach ich’s.
Und jetzt hat er mir schon wieder eine geschenkt, und er steht in meiner Tür und starrt mich an, als hätte ihm meine Frage einen Schlag versetzt. Und sein Gesichtsausdruck verfinstert sich plötzlich so sehr, daß ich denke, das kann unmöglich mein Lestat sein.
Ich wünschte, daß ich ihn hassen könnte. Ich wünschte, daß ich sie beide hassen könnte. Aber sie bezwingen mich nicht mit ihrer Stärke, sondern mit ihrer Schwäche, sie sind so liebenswert! Und so hübsch anzusehen, mon Dieu, wie die Frauen ihnen doch nachstellen!
Als er so dastand und mich beobachtete, wie ich diese Puppe betrachtete, die er mir geschenkt
Weitere Kostenlose Bücher