Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
verräterischer Schatten: Er befürchtete, ich hätte eine Schwäche in ihm entdeckt, deren er selbst sich nicht bewußt war.
Ich griff nach seinem Federhalter. »Darf ich? Und haben Sie vielleicht ein Stück Papier?«
Er gab es mir unverzüglich. Ich setzte mich auf seinen Stuhl am Schreibtisch. Alles ganz makellos - die Schreibunterlage, der schlanke Lederzylinder, in dem er seine Federhalter aufbewahrte, selbst die Aktenordner. Genauso makellos wie er, der dabeistand und zusah, wie ich schrieb.
»Das ist eine Telefonnummer«, sagte ich. Ich drückte ihm das Stück Papier in die Hand. »Es ist die Nummer eines Rechtsanwalts in Paris, der mich unter meinem richtigen Namen - Lestat de Lioncourt - kennt, den Sie ja, glaube ich, auch in Ihren Akten haben. Natürlich weiß er nicht das über mich, was Sie wissen. Aber er kann mich erreichen. Oder vielleicht wäre es korrekter zu sagen, daß ich ständig mit ihm in Verbindung stehe.«
Er sagte nichts, sondern sah das Papier an und prägte sich die Nummer ein.
»Behalten Sie sie«, sagte ich. »Und wenn Sie Ihre Meinung ändern, wenn Sie unsterblich werden und das auch zugeben wollen, rufen Sie die Nummer an. Und ich komme wieder.«
Er wollte protestieren. Ich bedeutete ihm zu schweigen.
»Man weiß nie, was passieren kann«, sagte ich. Ich lehnte mich in seinem Stuhl
zurück und faltete die Hände über meiner Brust. »Sie könnten feststellen, daß Sie an einer tödlichen Krankheit leiden; Sie könnten durch einen bösen Sturz zum Krüppel werden. Vielleicht bekommen Sie einfach irgendwann Alpträume über den Tod, darüber, niemand und nichts mehr zu sein. Das macht alles nichts. Wenn Sie sich entscheiden, daß Sie das haben wollen, was ich zu vergeben habe, rufen Sie an. Und denken Sie daran, ich sage nicht, daß ich es Ihnen geben werde. Das werde ich vielleicht nie tun. Ich sage nur, wenn Sie sich entschieden haben, können wir uns darüber unterhalten.«
»Aber wir unterhalten uns doch schon darüber.«
»Nein, das tun wir nicht.«
»Meinen Sie nicht, daß Sie wiederkommen werden?« fragte er. »Ich glaube schon, ob ich nun anrufe oder nicht.«
Noch eine kleine Überraschung. Ein kleiner, demütigender Stich. Ich lächelte ihn mir selbst zum Trotz an. Er war ein sehr interessanter Mann. »Sie silberzüngiger britischer Bastard«, sagte ich. »Wie können Sie es wagen, mir das mit solcher Herablassung zu sagen? Vielleicht sollte ich Sie sofort töten.«
Das reichte. Er war jetzt bestürzt. Er vertuschte es ganz gut, aber ich konnte es doch erkennen. Und ich wußte, wie erschreckend ich aussehen konnte, besonders, wenn ich lächelte.
Doch Talbot erholte sich erstaunlich schnell. Er faltete das Papier mit der Telefonnummer und steckte es in die Tasche.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte er. »Was ich sagen wollte, war, daß ich hoffe, daß Sie wiederkommen.«
»Rufen Sie die Nummer an«, sagte ich. Wir sahen uns lange an, dann lächelte ich wieder. Ich stand auf, um zu gehen. Dabei sah ich auf seinen Schreibtisch hinunter.
»Warum habe ich keine eigene Akte?« fragte ich.
Sein Gesicht war für einen Augenblick ratlos, dann faßte er sich wie durch ein Wunder wieder. »Aber Sie haben doch das Buch!« Erzeigte auf Der Fürst der Finsternis im Regal.
»O ja, richtig. Gut, danke für den Hinweis.« Ich zögerte. »Aber, wenn Sie verstehen - ich glaube, ich sollte meine eigene Akte haben.«
»Ich stimme Ihnen zu«, sagte er. »Ich werde unverzüglich eine anlegen. Es war immer… nur eine Zeitfrage.«
Ich lachte leise, trotz meines Ärgers. Er war so höflich. Ich machte zum Abschied eine leichte Verbeugung, die er gnädig erwiderte.
Und dann ging ich, so schnell ich konnte, was ziemlich schnell war, an ihm vorbei und packte Louis und verschwand unverzüglich durch das Fenster und flog über die Felder, bis ich auf einem verlassenen Abschnitt der Straße nach London wieder landete. Es war dunkler hier und kälter; die Eichen verdeckten den Mond; es gefiel mir. Ich liebte die totale Finsternis! Ich stand da, die Hände in die Taschen geschoben, und sah auf den schwachen, weit entfernten Lichtschein über London, und ich lachte mit unzähmbarer Heiterkeit vor mich hin.
»Oh, war das schön, war das vorzüglich!« sagte ich und rieb mir die Hände, und dann ergriff ich Louis’ Hände, die sogar noch kälter waren als meine. Louis’ Gesichtsausdruck entzückte mich. Da bahnte sich ein richtiger Lachkrampf an.
»Du bist ein Schweinehund, weißt du
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