Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
hat, fragte ich ihn schneidend: »Gefällt dir dieser Anblick?«
»Du willst sie nicht mehr, oder?« flüsterte er.
»Würdest du sie an meiner Stelle wollen?« fragte ich.
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Seine Wangen glühten. Er drehte sich um und ging ins Wohnzimmer.
Ich folgte ihm. »Würdest du sie an meiner Stelle mögen?«
Er starrte mich an, als würde ich ihm Furcht einjagen, dabei war er ein Mann von einem Meter achtzig und ich ein Kind, das höchstens halb soviel maß.
»Findest du mich schön?« begehrte ich zu wissen.
Er ging an mir vorbei und verschwand durch die Hintertür. Ich hielt ihn am Ärmel fest, während er am oberen Ende der Treppe stand. »Antworte mir!« sagte ich. »Sieh mich an, was siehst du?«
Er war in einem jämmerlichen Zustand. Ich dachte, er würde sich losreißen, in Gelächter ausbrechen. Aber statt dessen fiel er vor mir auf die Knie und umklammerte meine Arme. Er küßte stürmisch meinen Mund. »Ich liebe dich«, flüsterte er. »Ich liebe dich!« Erhielt mich fest und zitierte ein Gedicht:
Bedecke ihr Antlitz,
Mein Blick ist verwirrt,
Sie starb jung.
Das ist von Webster. Ich bin fast sicher. Eins dieser Spielchen, die Lestat so sehr liebt. Ich frage mich… wird Louis dieses kleine Gedicht gefallen. Müßte es eigentlich. Es ist kurz, aber sehr hübsch.
Jesse klappte das Buch vorsichtig zu. Ihre Hände zitterten. Sie nahm die Puppe und drückte sie an ihre Brust. Sie schwankte ein wenig, als sie sich wieder setzte und sich gegen die bemalte Wand lehnte.
»Claudia«, flüsterte sie.
Ihr Kopf drohte zu zerspringen, aber es war ihr egal. Das Licht der Öllampen war so beruhigend, so anders als die grelle Glühbirne der Deckenbeleuchtung. Sie saß ganz still da, streichelte das weiche, seidene Haar der Puppe. Wieder schlug die Uhr. Laut und dröhnend. Sie durfte hier nicht einschlafen. Irgendwie mußte sie sich hochrappeln. Sie mußte das kleine Buch nehmen, die Puppe und den Rosenkranz und sich fortmachen. Die leeren Fenster waren wie Spiegel, hinter denen die Nacht lag. Anweisungen mißachtet. Ruf David an, ja, ruf David jetzt an. Aber das Telefon schrillte. Zu dieser Stunde! Und David konnte die Nummer nicht einmal wissen, weil das Telefon … Sie versuchte, das Geklingel zu ignorieren, aber es hörte nicht auf. Also schön!
Sie küßte die Puppe auf die Stirn. »Bin gleich wieder zurück, mein Liebling«, flüsterte sie.
Wo war dieses verdammte Telefon überhaupt? Auf dem Tischchen in der Eingangshalle natürlich. Sie stand schon kurz davor, als sie sah, daß es nicht angeschlossen war. Doch es läutete, und das war keine akustische Halluzination! Und die Öllampen! Mein Gott, da warm ja keim Öllampen in dieser Wohnung’
Nun, gut, sie hatte derlei schon früher erlebt. Nur die Ruhe bewahren! Nachdenken! Was sollte sie jetzt machen? Am liebsten hätte sie losgeschrien. Das Telefon hörte nicht auf! Wenn du nicht die Ruhe bewahrst, wirst du völlig durchdrehen. Sie mußte diese Lampen auslöschen, dieses Telefon abstellen! Aber die Lampen konnten nicht wirklich sein. Und das Wohnzimmer am Ende des Gangs — die Möbel waren nicht wirklich! Das Flackern des Feuers - nicht wirklich! Und die Person, die da hereinkam, wer war das, ein Mann? Sieh nicht zu ihm auf! Sie hob die Hand und stieß das Telefon auf den Boden. Aus dem Hörer drang eine dünne Frauenstimme.
»Jesse?«
Panikartig rannte sie ins Schlafzimmer zurück, stolperte über ein Stuhlbein, fiel gegen das Himmelbett. Befand sie sich noch in der Wirklichkeit? Nimm die Puppe, das Buch, den Rosenkranz! Sie stopfte alles in ihre Leinentasche und rannte durch die Wohnung, der hinteren Treppe entgegen. Beinahe wäre sie auf den Eisenstufen ausgerutscht. Der Garten, der Brunnen - aber du weißt doch, daß da nichts außer Unkraut ist. Ein schmiedeeisernes Gatter versperrte den Weg. Einbildung.
Geh hindurch! Lauf!
Sie war in dem sprichwörtlichen Alptraum gefangen, das Geräusch von Pferdehufen und Kutschen trommelte in ihren Ohren, während sie über das Kopfsteinpflaster rannte. Jede Bewegung schien eine Ewigkeit zu dauern, ihr Griff nach den Autoschlüsseln, ihr Versuch, die Tür zu öffnen und das Auto zu starten.
Als sie das French Quarter erreichte, hatte sie einen Heulkrampf, und ihr Körper war von Schweiß überströmt. Sie fuhr durch die heruntergekommenen Straßen der Innenstadt zum Freeway. Bei der Ausfahrt mußte sie
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