Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
anhalten, und sie drehte sich um. Der Rücksitz war leer. Okay, sie folgten ihr nicht. Und die Leinentasche lag auf ihrem Schoß; sie spürte den festen Porzellankopf der Puppe an ihrer Brust. Mit durchgetretenem Gaspedal fuhr sie nach Baton Rouge.
Sterbenskrank erreichte sie das Hotel. Sie konnte sich kaum noch zum Nachtportier schleppen. Ein Aspirin, ein Thermometer. Bringt mich bitte zum Aufzug.
Es war Mittag, als sie acht Stunden später aufwachte. Sie hielt die Leinentasche noch immer in ihren Armen. Sie hatte vierzig Grad Fieber. Sie rief David an, aber die Verbindung war miserabel. Er rief sie zurück, auch nicht viel besser. Sie versuchte, sich so gut wie möglich verständlich zu machen. Das Tagebuch, es war eindeutig Claudias Tagebuch, und es bestätigte alles! Und das Telefon, es war nicht angeschlossen gewesen, dennoch hatte sie die Stimme einer Frau gehört! Die Öllampen, sie hatten noch gebrannt, als sie aus der Wohnung fortrannte. Die Wohnung war voller Möbel, in den Kaminen brannte Feuer. Konnten diese Lampen und Feuer die Wohnung niederbrennen? David mußte unbedingt etwas unternehmen! Und er antwortete ihr, aber sie konnte ihn kaum verstehen.
Als sie ihre Augen öffnete, war es bereits dunkel. Ihr Kopfweh hatte sie aufgeweckt. Die Digitaluhr auf ihrem Nachttisch wies auf halb elf. Durst, schrecklicher Durst, und das Glas neben ihrem Bett war leer. Irgend jemand war in dem Zimmer.
Sie drehte sich auf ihren Rücken. Licht durch die dünnen weißen Vorhänge. Ja, da. Ein Kind, ein kleines Mädchen. Es saß in dem Sessel an der Wand.
Jesse konnte nur die Umrisse wahrnehmen - das lange gelbe Haar, die Puffärmel ihres Kleides, die baumelnden Beine, die den Boden nicht berührten. Sie bemühte sich, deutlicher zu sehen. Ein Kind… unmöglich. Ein Trugbild. Nein. Etwas Feindseliges. Gefahr. - Und das Kind blickte sie an.
Claudia.
Sie rappelte sich wankend aus dem Bett, hielt die Tasche noch immer in ihren Armen, als sie gegen die Wand taumelte. Das kleine Mädchen stand auf. Deutlich waren seine Schritte auf dem Teppichboden zu hören. Die Feindseligkeit schien noch zuzunehmen. Das Kind näherte sich Jesse, und der Lichtkegel, der durchs Fenster drang, erleuchtete seine blauen Augen, seine Pausbacken, seine nackten Ärmchen.
Jesse schrie auf. Die Tasche an sich reißend, rannte sie blindlings zur Tür. Sie zerrte an dem Schloß und der Kette, wagte es nicht, über ihre Schulter zu blicken. Sie schrie in einem fort, sie konnte nichts dagegen tun. Jemand rief ihr etwas von der anderen Seite zu, und schließlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen, und sie stolperte in den Gang.
Leute umringten sie; aber die konnten sie nicht an ihrer Flucht hindern, und dann half ihr jemand auf, da sie offenbar wieder hingefallen war. Man setzte sie in einen Sessel. Sie heulte, versuchte vergeblich, ihren Tränen Einhalt zu gebieten, und sie hielt die Tasche mit der Puppe und dem Tagebuch in ihren Händen.
Als der Krankenwagen eintraf, weigerte sie sich, die Tasche herzugeben. Im Krankenhaus pumpten sie sie mit Antibiotika und Beruhigungsspritzen voll, mit genug Mitteln, um jeden Gesunden in den Irrsinn zu treiben. Eingerollt wie ein Kind lag sie im Bett, die Tasche unter ihrer Decke. Und wenn die Krankenschwester die Tasche auch nur berührte, wachte Jesse sofort auf. Als Aaron Lightner zwei Tage später eintraf, händigte sie sie ihm aus. Sie war noch immer krank, als sie im Flugzeug nach London saßen. Die Tasche lag auf seinem Schoß, und er war gut zu ihr, beruhigte sie, zeigte sich besorgt, als sie während des langen Heimflugs immer wieder einschlief und aufwachte. Erst kurz vor der Landung bemerkte sie, daß ihr Armband verschwunden war, ihr schönes Silberarmband. Sie weinte geschlossenen Auges. Maels Armband war verschwunden.
Sie entzogen ihr den Auftrag; sie hatte es schon vorher gewußt. Sie sei zu jung für diese Arbeit, sagten sie, zu unerfahren. Es sei ihr Fehler gewesen, sie dahin zu schicken. Die Fortführung dieser Arbeit sei einfach zu gefährlich für sie. Natürlich sei das, was sie erreicht habe, »unendlich wertvoll«. Ob hinter ihren Erlebnissen der Geist eines toten Vampirs gesteckt habe? Durchaus möglich. Und das läutende Telefon, nun, derlei sei schon oft berichtet worden - diesen Wesen sei jedes Mittel recht, um zu »kommunizieren« oder Furcht und Schrek-ken zu verbreiten. Sie solle sich erst einmal ausruhen, das alles vergessen. Andere würden die Untersuchung fortsetzen.
Das
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