Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Augen waren groß und klar. »Die kleine Tat bedeutet alles. Natürlich werden Krankheit und Leid weiterexistieren, wenn ich nicht mehr bin. Aber was zählt, ist, daß ich alles getan habe, was ich kann. Das ist mein Triumph -und meine Eitelkeit. Das ist meine Berufung und die Sünde meines Hochmuts. Das ist meine Art Heroismus.«
    »Aber, chérie, das funktioniert doch nur, solange jemand Buch fahrt - wenn irgendein Höchstes Wesen deine Entscheidung ratifiziert oder wenn du einen Lohn bekommst für das, was du getan oder zumindest vertreten hast.«
    »Nein«, sagte sie, und als sie weitersprach, wählte sie die Worte sorgfältig.
    »Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Bedenke doch, was ich gesagt habe. Was ich dir erzähle, ist dir offensichtlich neu. Vielleicht ist es ein religiöses Geheimnis.«
    »Inwiefern?«
    »Es kommt oft vor, daß ich nachts wach liege und mir völlig bewußt ist, daß es vielleicht keinen personalen Gott gibt und daß das Leiden der Kinder, das ich jeden Tag in unseren Krankenhäusern sehe, niemals Ausgleich oder Wiedergutmachung erfahren wird. Ich denke an diese alten Argumente - du weißt schon: Wie kann Gott das Leiden eines Kindes rechtfertigen? Dostojewski hat diese Frage gestellt. Auch der französische Autor Albert Camus. Wir selbst stellen sie immer wieder. Aber letzten Endes kommt es darauf nicht an. Gott mag existieren oder nicht. Aber das Elend ist real. Absolut real und ganz und gar unbestreitbar. Und auf dieser Realität beruht mein Engagement - der Kern meines Glaubens. Ich muß etwas dagegen unternehmen!«
    »Und in der Stunde deines Todes, wenn es dann keinen Gott gibt…«
    »Dann soll es so sein. Ich werde wissen, daß ich getan habe, was ich tun konnte. Die Stunde meines Todes könnte jetzt sein.« Sie zuckte die Achseln. »Ich würde nicht anders empfinden.«
    »Deshalb fühlst du dich nicht schuldig, weil wir zusammen im Bett waren.« Sie überlegte. »Schuldig? Ich fühle mich glücklich, wenn ich daran denke. Weißt du denn nicht, was du für mich getan hast?« Sie wartete, und langsam füllten ihre Augen sich mit Tränen. »Ich bin hergekommen, um dir zu begegnen, um mit dir zusammenzusein.« Ihre Stimme klang jetzt gepreßt. »Und nun kann ich in die Mission zurückgehen.«
    Sie senkte den Kopf und gewann langsam und wortlos ihre Ruhe zurück, und ihre Augen klärten sich wieder. Schließlich blickte sie auf und fuhr fort.
    »Als du davon sprachst, daß du dieses Kind gemacht hast, Claudia… und als du davon sprachst, deine Mutter Gabriella in deine Welt zu bringen… da sagtest du, du hättest nach etwas gestrebt. Würdest du es Transzendenz nennen? Wenn ich bis zum Umfallen im Missionskrankenhaus arbeite, dann transzendiere ich etwas. Ich transzendiere meine Zweifel und etwas… etwas vielleicht Hoffnungsloses und Schwarzes in mir selbst. Ich weiß es nicht.«
    »Hoffnungslos und schwarz, ja, das ist der Schlüssel, nicht wahr? Die Musik hat es nicht vertrieben.«
    »Doch, das hat sie, aber es war falsch.«
    »Wieso falsch? Wieso war es falsch, dieses Gute zu tun - Klavier zu spielen?«
    »Weil es nicht genug für andere getan hat.«
    »O doch. Es hat ihnen Freude gemacht. Das hat es bestimmt.«
    »Freude?«
    »Verzeih mir, ich gehe die Sache falsch an. Du hast dich selbst in deiner Berufung verloren. Als du Klavier spieltest, da warst du du selbst - siehst du das nicht? Du warst Gretchen, die Einzigartige! Es war exakt die Bedeutung des Wortes
    >Virtuoso<. Und du wolltest dich selbst verlieren.«
    »Ich glaube, du hast recht. Die Musik war einfach nicht mein Weg.«
    »Oh, Gretchen, du machst mir angst.«
    »Aber ich dürfte dir keine Angst machen. Ich sage ja nicht, daß der andere Weg der falsche war. Wenn du mit deiner Musik Gutes bewirkt hast - als Rocksänger, in deiner kurzen Karriere, von der du erzählt hast -, dann war es das Gute, das du tun konntest. Ich tue Gutes auf meine Weise; das ist alles.«
    »Nein. Es steckt wilde Selbstverleugnung in dir. Du dürstest nach Liebe, wie ich Nacht für Nacht nach Blut dürste. Du bestrafst dich durch deine Arbeit als Krankenschwester und indem du deine fleischlichen Gelüste verleugnest, deine Liebe zur Musik und alles auf der Welt, was wie Musik ist. Du bist eine Virtuosin, eine Virtuosin deines eigenen Schmerzes.«
    »Du irrst dich, Lestat«, sagte sie, und wieder lächelte sie leise und schüttelte den Kopf. »Du weißt, daß es nicht stimmt. Es ist das, was du von jemandem wie mir gern

Weitere Kostenlose Bücher