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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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daran zu hindern?« Sie erzählte weiter. Als sie sechzehn war, wurde ihre Mutter krank, und monatelang konnte niemand die Ursache finden. Sie war blutarm, hatte ständig Fieber, und schließlich bestand kein Zweifel mehr, daß es ein Siechtum zum Tode war. Alle möglichen Untersuchungen wurden angestellt, aber die Ärzte fanden keine Erklärung. Alle waren sicher, daß ihre Mutter sterben würde. Die Atmosphäre im Haus war von Trauer, ja Bitterkeit vergiftet.
    »Ich bat Gott um ein Wunder«, sagte sie. »Ich gelobte, in meinem ganzen Leben niemals wieder Klaviertasten anzurühren, wenn Gott nur meine Mutter rettete. Ich versprach, ins Kloster zu gehen, sobald ich es dürfte - und mein Leben der Pflege Kranker und Sterbender zu widmen.«
    »Und deine Mutter wurde gesund?«
    »Ja. Binnen eines Monats war sie vollständig genesen. Sie lebt immer noch. Sie ist pensioniert und gibt Kindern Nachhilfeunterricht - in einem Laden in einem Schwarzenviertel von Chicago. Sie war nie wieder irgendwie krank.«
    »Und du hast dein Versprechen gehalten?«
    Sie nickte. »Ich ging zu den Missionsschwestern, als ich siebzehn war, und sie schickten mich aufs College.«
    »Und das Versprechen, nie wieder Klaviertasten anzurühren, hast du auch gehalten?«
    Sie nickte. Sie zeigte keine Spur von Reue, und ich spürte auch keine Sehnsucht bei ihr und auch nicht den Wunsch, daß ich sie verstand oder ihr Verhalten billigte.
    Im Gegenteil, mir war klar, daß meine Trauer ihr nicht verborgen blieb und daß sie deshalb allenfalls ein bißchen besorgt um mich war.
    »Warst du glücklich im Kloster?«
    »O ja.« Sie zuckte leicht die Achseln. »Verstehst du es nicht? Ein normales Leben ist unmöglich für jemanden wie mich. Ich muß etwas Schweres tun. Ich muß Risiken eingehen. Ich bin in diesen religiösen Orden eingetreten, weil dessen Missionsstationen sich in den entlegensten und gefährlichsten Regionen Südamerikas befinden. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich diese Dschungel liebe!« Ihre Stimme wurde leise und beinahe drängend. »Es kann mir dort nicht heiß oder gefährlich genug sein. Es kommt vor, daß wir alle überarbeitet und müde sind, daß das Hospital überfüllt ist und die kranken Kinder draußen unter Schutzdächern in Hängematten untergebracht sind, und doch fühle ich mich so lebendig! Ich kann es dir nicht beschreiben. Ich halte vielleicht lange genug inne, um mir den Schweiß vom Gesicht zu wischen, mir die Hände zu waschen, vielleicht ein Glas Wasser zu trinken. Und dann denke ich: Ich lebe, ich bin hier, ich tue etwas Wichtiges.« Wieder lächelte sie.
    »Es ist eine andere Art von intensivem Erleben«, meinte ich, »etwas ganz anderes, als Musik zu machen. Ich erkenne den entscheidenden Unterschied.«
    Ich dachte an das, was David mir über sein früheres Leben erzählt hatte - wie er den Kitzel der Gefahr gesucht hatte. Sie suchte den Kitzel der absoluten Selbstaufopferung. Er hatte die Gefahren des Okkulten in Brasilien gesucht. Sie suchte die harte Herausforderung, die darin lag, den Tausenden namenloser und ewig armer Menschen Gesundheit zu bringen. Es beunruhigte mich zutiefst. »Es liegt natürlich auch Eitelkeit darin«, sagte sie. »Die Eitelkeit ist immer ein Feind. Das hat mich bei meiner… meiner Keuschheit am meisten beunruhigt«, erklärte sie. »Der Stolz, den ich deshalb empfand. Aber weißt du, sogar diese Rückkehr in die Staaten war ein Risiko. Ich hatte schreckliche Angst, als ich aus dem Flugzeug stieg, als mir klarwurde, daß ich hier in Georgetown war und daß nichts mich daran hindern könnte, mit einem Mann zusammenzusein, wenn ich es wollte. Ich glaube, ich bin aus lauter Angst zum Arbeiten ins Krankenhaus gegangen. Weiß Gott, die Freiheit ist nicht leicht.«
    »Diesen Teil kann ich verstehen«, sagte ich. »Aber deine Familie - wie haben sie
    auf dein Gelübde reagiert, die Musik aufzugeben?«
    »Sie wußten damals nichts davon. Ich habe es ihnen nicht erzählt. Später habe ich meine Berufung bekanntgegeben. Ich ließ mich nicht davon abbringen. Es gab eine Menge Vorwürfe. Schließlich hatten meine Geschwister gebrauchte Kleider getragen, damit ich Klavierstunden hatte nehmen können. Aber so geht es oft. Selbst in gut katholischen Familien wird die Neuigkeit, daß die Tochter Nonne werden will, nicht immer mit Jubel und Beifall aufgenommen.«
    »Sie trauerten um dein Talent«, sagte ich.
    »Ja.« Sie hob die Brauen ein wenig. Wie ehrlich und ruhig sie aussah. In keinem ihrer

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