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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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war das gewesen! Ausgerechnet hier an den Rand des menschlichen Todes zu geraten! Von neuem erbost, funkelte ich Louis an.
    Wie still er war, wie ruhig sein Staunen. Das Trommeln des Regens, die dunklen, lebendigen Geräusche der Winternacht - alles schien plötzlich zu verdunsten, als ich ihn anschaute. Noch nie hatte ich ihn mit sterblichen Augen betrachtet. Noch nie hatte ich seine bleiche, phantomhafte Schönheit gesehen. Wie konnten Sterbliche glauben, dies sei ein Mensch, wenn ihre Blicke ihn streiften? Ah, diese Hände-wie die Hände von Gipsheiligen, die in schattendunklen Grotten zum Leben erwachten. Und wie absolut bar aller Gefühle war das Gesicht; die Augen waren keine Fenster der Seele, sondern feine, juwelenartige Lichtfallen.
    »Louis«, sagte ich, »das Schlimmste ist geschehen. Das Allerschlimmste. Der Körperdieb hat den Tausch vollzogen. Aber er hat meinen Körper gestohlen, und er hat nicht die Absicht, ihn mir zurückzugeben.«
    Ich spürte nicht, daß sich irgend etwas in ihm beschleunigte, als ich sprach. Ja, so leblos und bedrohlich erschien er mir, daß ich plötzlich in einen Schwall von französischen Worten verfiel und jedes Bild, jedes Detail, an das ich mich erinnern konnte, hervorsprudelte, um ihm irgendein Zeichen des Verstehens zu entringen. Ich redete von unserem letzten Gespräch hier in seinem Haus und von unserem kurzen Treffen in der Vorhalle der Kathedrale. Ich erinnerte mich, wie er mich gewarnt hatte: Ich dürfe mit dem Körperdieb nicht reden. Und ich gestand, daß ich das Angebot des Mannes unwiderstehlich gefunden hatte, daß ich nach Norden gegangen war, um mich mit ihm zu treffen, und daß ich seinen Vorschlag angenommen hatte.
    Noch immer erhellte kein Funke von Leben dieses erbarmungslose Gesicht, und plötzlich verstummte ich. Mojo versuchte zu stehen; hin und wieder stöhnte er leise, und langsam schlang ich ihm den rechten Arm um den Hals und lehnte mich an ihn; ich mühte mich, wieder zu Atem zu kommen, und sagte ihm in besänftigendem Ton, alles sei gut und wir seien gerettet. Ihm werde nichts mehr passieren.
    Louis richtete den Blick langsam auf das Tier und wieder auf mich. Und ganz allmählich milderte sich der harte Zug um seine Lippen. Er nahm meine Hand und zog mich - ganz ohne mein Zutun oder meine Einwilligung - auf die Beine.
    »Du bist es wirklich«, sagte er in einem tiefen, rauhen Flüsterton.
    »Das kannst du wohl sagen, verdammt! Und beinahe hättest du mich umgebracht - ist dir das klar? Wie oft wirst du diesen kleinen Trick noch ausprobieren, bevor alle Uhren der Welt zu Ende getickt haben? Ich brauche deine Hilfe, verdammt! Und du versuchst schon wieder, mich umzubringen! Könntest du bitte die paar Läden schließen, die noch vor deinen Fenstern hängen, und irgend so was wie ein Feuer in deinem jämmerlichen kleinen Kamin anzünden?«
    Wieder ließ ich mich in meinen roten Samtsessel fallen; noch immer rang ich nach Atem. Ein merkwürdiges, schlabberndes Geräusch erregte meine Aufmerksamkeit. Ich blickte auf. Louis hatte sich nicht bewegt. Er starrte mich nur an, als wäre ich ein Ungeheuer. Aber Mojo verschlang geduldig und unbeirrbar das Erbrochene, das ich auf den Boden gewürgt hatte.
    Ich brach in entzücktes Gelächter aus, das sich zu einem tadellosen Hysterieanfall auszuwachsen drohte.
    »Bitte, Louis, das Feuer, zünde das Feuer an«, flehte ich. »Ich erfriere in diesem sterblichen Körper. Beeil dich!«
    »Guter Gott«, wisperte er. »Was hast du jetzt wieder angestellt?«

Achtzehn
    N ach der Uhr an meinem Handgelenk war es zwei. Hinter den zerbrochenen Läden von Türen und Fenstern hatte der Regen nachgelassen, und ich kauerte in dem roten Samtsessel und genoß das bißchen Wärme des lodernden Kaminfeuers; aber ich war wieder stark erkältet und litt wie zuvor unter einem keuchenden Husten. Aber sicher war der Augenblick nah, wo mir so etwas kein Kopfzerbrechen mehr bereiten würde.
    Ich hatte die ganze Geschichte erzählt.
    In einem rasenden Anfall von sterblicher Offenheit hatte ich jedes einzelne furchtbare und verwirrende Erlebnis geschildert, von meinen Gesprächen mit Raglan James angefangen bis zu meinem allerletzten, traurigen Abschied von Gretchen. Sogar von meinen Träumen hatte ich erzählt, von Claudia und mir in dem kleinen Hospital längst vergangener Tage, von unserer Unterhaltung in dem Fantasiesalon der Hotelsuite aus dem achtzehnten Jahrhundert und von der traurigen, schrecklichen Einsamkeit, die ich bei der

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