Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
nicht, was passiert ist? Lestat, du hast es getan. Du bist als Sterblicher wiedergeboren.«
»Louis, dies ist nicht der Augenblick, um sentimental über diese Transformation zu reden. Hatte mir jetzt nicht meine eigenen Worte vor! Ich habe mich geirrt!«
»Nein. Du hast dich nicht geirrt.«
»Was willst du damit sagen? Louis, wir verschwenden die Zeit. Ich muß diesem Ungeheuer nach! Er hat meinen Körper.«
»Lestat, die anderen werden sich um ihn kümmern. Vielleicht haben sie es schon getan.«
»Schon getan! Was heißt das, sie haben es schon getan?«
»Denkst du denn, sie wissen nicht, was passiert ist?« Er war zutiefst bestürzt, aber auch wütend. Wie die Konturen menschlichen Ausdrucks in seinem geschmeidigen Gesicht erschienen und wieder verschwanden, wenn er sprach! »Wie sollte so etwas stattfinden, ohne daß sie es wissen?« Es klang, als flehe er um mein Verständnis. »Du hast gesagt, dieser Raglan James sei ein Zauberer. Aber kein Zauberer kann sich völlig verbergen vor jemandem, der so mächtig ist wie Maharet und ihre Schwester, so mächtig wie Khayman und Marius, ja selbst Armand. Und was für ein tolpatschiger Zauberer - deinen sterblichen Agenten auf so grausame und blutige Weise zu ermorden.« Er schüttelte den Kopf und drückte unversehens die Hände an die Lippen. »Lestat, sie wissen es! Sie müssen es wissen. Und es könnte leicht sein, daß dein Körper bereits zerstört ist.«
»Das würden sie nicht tun.«
»Warum nicht? Du hast diesem Dämon eine zerstörerische Maschine überlassen…«
»Aber er wußte doch gar nicht, wie man damit umgeht! Es sollte doch nur für sechsunddreißig Stunden sein! Louis, was immer jetzt der Fall sein mag, du mußt mir das Blut geben. Vorträge kannst du mir nachher halten. Gib mir das Geschenk der Finsternis, und ich werde Antworten auf alle diese Fragen finden. Wir verschwenden kostbare Minuten und Stunden.«
»Nein, Lestat, das tun wir nicht. Genau davon rede ich doch! Die Frage dieses Körperdiebs und des Körpers, den er dir gestohlen hat, soll uns hier nicht interessieren. Es geht um das, was jetzt mit dir - mit deiner Seele - in diesem Körper geschieht.«
»Gut. Wie du willst. Aber jetzt mache diesen Körper zum Vampir.«
»Ich kann nicht. Oder, ehrlicher gesagt, ich will nicht.« Ich stürzte mich auf ihn, ehe ich mich zurückhalten konnte. Und im nächsten Augenblick hatte ich mit beiden Händen das Revers seines elenden, verstaubten schwarzen Rocks gepackt. Ich zerrte an dem Stoff und wollte ihn vom Stuhl hochreißen, aber er blieb absolut unbeweglich sitzen und schaute mich still an; sein Blick war immer noch bestürzt und traurig. In ohnmächtiger Wut ließ ich ihn los und stand einfach da, während ich mich bemühte, die Verwirrung in meinem Herzen zu bändigen.
»Das kann nicht dein Ernst sein!« flehte ich und schlug wieder mit den Fäusten vor ihm auf den Tisch. »Wie kannst du mir das abschlagen?«
»Wirst du mir jetzt erlauben, einer zu sein, der dich liebt?« Wieder klang seine Stimme sehr bewegt, und tiefe, tragische Trauer erfüllte sein Gesicht. »Ich würde es nicht tun, und wäre dein Elend noch so groß, bätest du noch so inständig darum und wäre die Litanei deiner Erlebnisse noch so furchtbar. Ich würde es nicht tun, weil es keinen Grund unter Gottes Himmel gibt, der mich bewegen könnte, noch einen von uns zu erschaffen. Aber du zeigst mir kein großes Elend! Du wirst nicht heimgesucht von einer Litanei von Katastrophen!« Er schüttelte den Kopf, als sei er so überwältigt, daß er nicht fortfahren könne, und sagte dann: »Du hast dabei triumphiert, wie es nur dir hätte gelingen können!«
»Nein, nein, du verstehst nicht…«
»O doch, ich verstehe es. Muß ich dich vor einen Spiegel stoßen?« Langsam stand er hinter seinem Schreibtisch auf und schaute mir in die Augen. »Muß ich dich dazu zwingen, dich hinzusetzen und die Lektionen der Geschichte zu studieren, die ich aus deinem eigenen Mund gehört habe? Lestat, du hast dir unseren Traum erfüllt! Begreifst du das nicht? Du hast es geschafft. Du bist als Sterblicher wiedergeboren. Als starker und schöner Sterblicher.«
»Nein«, sagte ich und wich vor ihm zurück; ich schüttelte den Kopf und hob beschwörend die Hände. »Du bist wahnsinnig. Du weißt nicht, was du redest. Ich hasse diesen Körper! Ich hasse es, ein Mensch zu sein! Louis, wenn du einen Funken Mitgefühl in dir hast, dann wirfst du diese Irrtümer beiseite und hörst auf meine
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