Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
wieder fröstelte; ja, ich spürte die alte, bedeutsame Verengung in der Brust. »Lieber Gott, nicht noch einmal«, betete ich. »Louis, um der Liebe des Himmels willen, komm! Wo immer du bist, komm jetzt zurück.
Ich brauche dich.«
Ich wollte gerade in meiner Tasche nach einem der vielen Papiertaschentücher suchen, die Gretchen mir aufgedrängt hatte, als ich merkte, daß eine Gestalt zu meiner Linken stand, nur eine Handbreit neben der Armlehne des Sessels, und daß eine sehr glatte weiße Hand nach mir griff. Im selben Augenblick sprang Mojo mit seinem schlimmsten, bedrohlichsten Knurren auf und schien die Gestalt anzuspringen.
Ich wollte aufschreien, sagen, wer ich war, aber bevor meine Lippen sich teilen konnten, wurde ich auf den Boden geschleudert;
Mojos Gebell war ohrenbetäubend, und die Sohle eines Lederstiefels preßte mir die Kehle zusammen, ja, bis auf die Knochen meines Halses, und quetschte sie mit solcher Gewalt zusammen, daß sicher gleich alles zermalmt sein würde.
Ich konnte nicht sprechen, und ich konnte mich nicht befreien. Ein lauter, durchdringender Aufschrei kam von dem Hund, und dann verstummte auch er, und ich hörte, wie sein schwerer Körper mit einem gedämpften Laut zu Boden sank. Ich spürte sein Gewicht auf meinen Beinen und zappelte in hilfloser Panik und schierem Entsetzen. Alle Vernunft war aus mir gewichen, als ich an dem Fuß zerrte, der mich zu Boden drückte; ich hämmerte gegen das kräftige Bein und rang nach Luft, aber ich brachte nur ein rauhes, unartikuliertes Grollen hervor.
Louis, ich bin Lestat. Ich bin in diesem Körper, diesem menschlichen Körper.
Härter und immer härter preßte der Fuß mir den Hals zusammen. Ich würde gleich ersticken, und die Knochen würden zermalmt werden, aber ich konnte nicht eine einzige Silbe herausbringen, um mich zu retten. Und über mir im Dunkel sah ich sein Gesicht - das feine, schimmernde Weiß der Haut, die gar keine Haut zu sein schien, die vorzügliche Symmetrie der Knochen und die zarte, halb geschlossene Hand, die als perfekte Verkörperung der Unschlüssigkeit in der Luft schwebte, während die tiefliegenden Augen, feurig in ihrem delikaten, leuchtenden Grün, ohne die geringste erkennbare Emotion auf mich herabstarrten.
Mit meiner ganzen Seele schrie ich die Worte noch einmal, aber wann war er je imstande gewesen, die Gedanken seiner Opfer zu spüren? Ich hätte es gekonnt, aber er nicht! OGott, hilf mir, Gretchen, hilf mir, schrie ich in meiner Seele.
Und als der Fuß - vielleicht zum letztenmal - seinen Druck verstärkte und alle Unschlüssigkeit überwunden war, da riß ich meinen Kopf nach rechts, sog einen verzweifelten, winzigen Atemzug in mich hinein und zwang ein einziges, heiseres Wort aus meiner zugeschnürten Kehle: »Lestat!« Und dabei deutete ich verzweifelt mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf mich.
Es war die letzte Geste, zu der ich fähig war. Ich erstickte, und Dunkelheit wälzte sich über mich hinweg. Sie brachte eine würgende Übelkeit mit, und just in dem Augenblick, als mit einem angenehmen Schwindelgefühl alles gleichgültig wurde, hörte der Druck auf, und unversehens wälzte ich mich herum, stemmte mich auf beiden Händen hoch, und ein panischer Hustenanfall nach dem anderen brach aus mir hervor.
»Um der Liebe Gottes willen!« Ich spuckte die Worte zwischen heiseren, schmerzhaft würgenden Atemstößen aus. »Ich bin Lestat. Lestat ist in diesem Körper! Konntest du mir nicht Gelegenheit geben, etwas zu sagen? Bringst du jeden unglücklichen Sterblichen gleich um, der in dein Häuschen gestolpert kommt? Was ist mit den alten Gesetzen der Gastfreundschaft, du verdammter Trottel? Wieso zum Teufel machst du dir kein Eisengitter vor die Haustür?« Mühsam kam ich auf die Knie, und jählings gewann die Übelkeit die Oberhand. Ich erbrach einen schleimigen Schwall von verdorbenem Essen in den staubigen Schmutz, und dann wich ich davor zurück, frierend und elend, und starrte zu ihm auf.
»Du hast den Hund getötet, nicht wahr? Du Monster!« Ich warf mich auf Mojos reglosen Körper. Aber er war nicht tot, sondern nur bewußtlos; sofort fühlte ich das langsame Pumpen seines Herzens. »Oh, Gott sei Dank! Wenn du das getan hättest - ich hätte dir nie, nie, nie verziehen!«
Ein mattes Stöhnen kam von Mojo; er bewegte die linke Pfote und dann langsam auch die rechte. Ich legte ihm die Hand zwischen die Ohren. Ja, er kam zu sich. Er war unverletzt. Aber was für ein elendes Erlebnis
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