Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Worte!«
»Das habe ich getan; ich habe alles gehört. Wieso kannst du es nicht hören? Lestat, du hast gewonnen. Du bist diesem Alptraum entronnen. Du bist wieder lebendig.«
»Mir geht es erbärmlich!« schrie ich ihn an. »Erbärmlich! Lieber Gott, was muß ich tun, um dich zu überzeugen?«
»Gar nichts. Ich bin es, der dich überzeugen muß. Wie lange lebst du in diesem Körper? Seit drei Tagen? Vier? Du redest von Beschwerden, als wären es tödliche Leiden; du redest von physischen Grenzen, als wären es bösartige, rachsüchtige Fesseln.
Und doch hast du mir mit all deinen endlosen Klagen selbst zu verstehen gegeben, daß ich dich zurückweisen muß! Du selbst hast mich beschworen, dich abzuweisen! Lestat, warum hast du mir die Geschichte von David Talbot und seiner Besessenheit von Gott und dem Teufel erzählt? Warum hast du mir erzählt, was diese Nonne Gretchen zu dir gesagt hat? Warum das kleine Hospital beschrieben, das du in deinem Fiebertraum gesehen hast? Oh, ich weiß, daß es nicht Claudia war, die zu dir kam. Ich sage nicht, daß es Gott war, der dir diese Frau Gretchen über den Weg gerührt hat. Aber du liebst sie. Das hast du selbst zugegeben: Du liebst sie. Sie wartet auf deine Rückkehr. Und sie kann deine Führerin durch all die Schmerzen und Beschwerden des sterblichen Lebens sein …«
»Nein, Louis, du hast alles mißverstanden! Ich will nicht von ihr geführt werden. Ich will dieses sterbliche Leben nicht!«
»Lestat, siehst du denn nicht, welche Chance du da bekommen hast? Siehst du den Weg nicht, der dir da eröffnet wurde, und das Licht, das vor dir liegt?«
»Ich werde noch verrückt, wenn du nicht aufhörst, so zu reden …«
»Lestat, was kann einer von uns tun, um sich zu erlösen? Und wer war von dieser Frage besessener als du?«
»Nein, nein!« Ich warf die Arme in die Höhe, kreuzte und streckte sie wieder und wieder, ein paarmal, als wollte ich so diesen Kipplaster voll verrückter Philosophie zum Halten bringen, der da auf mich zugerumpelt kam. »Nein! Ich sage dir, das ist verkehrt. Es ist die schlimmste aller Lügen.«
Er wandte sich ab, und ich stürzte ihm, ohne daß ich mich zurückhalten konnte, nach und hätte ihn bei den Schultern gepackt und geschüttelt, aber mit einer Bewegung, die für mein Auge zu schnell war, schleuderte er mich rückwärts gegen den Sessel.
Verdattert und mit einem schmerzhaft verrenkten Fußknöchel fiel ich in die Polster. Ich ballte die Rechte zur Faust und schlug mir damit in die linke Handfläche. »O nein, keine Predigten, nicht jetzt.« Ich war den Tränen nahe. »Keine Platitüden und frommen Empfehlungen.«
»Geh zu ihr zurück«, sagte er.
»Du bist verrückt!«
»Stell es dir doch vor«, fuhr er fort, als hätte ich nichts gesagt. Er hatte mir den Rücken zugewandt. Seine Stimme war fast unhörbar, und seine Gestalt hob sich dunkel vom fließenden Silber des Regens vor dem Fenster ab. »All die Jahre des unmenschlichen Sehnens, des grausamen Bluttrinkens. Und dann bist du wiedergeboren. Und dort, in diesem kleinen Urwaldkrankenhaus, könntest du möglicherweise für jedes Menschenleben, das du genommen hast, eines retten. Oh, was für Schutzengel dich bewachen! Warum sind sie so barmherzig? Und du kommst zu mir und flehst mich an, dich in dieses Grauen zurückzuholen, aber zugleich bestätigst du mit jedem Wort die Herrlichkeit dessen, was du gelitten und gesehen hast.«
»Ich entblöße meine Seele vor dir, und du verwendest es gegen mich!«
»Oh, das stimmt nicht, Lestat. Ich will dich dazu bringen, daß du selbst hineinschaust. Du bettelst doch darum, daß ich dich zu Gretchen zurücktreibe. Bin ich vielleicht dein einziger Schutzengel? Bin ich der einzige, der dieses Schicksal bestätigen kann?«
» Du elender Schweinehund! Wenn du mir das Blut nicht gibst…«
Er drehte sich um. Sein Gesicht war geisterhaft, die Augen geweitet und in ihrer Schönheit von grausiger Unnatürlichkeit. »Ich werde es nicht tun. Nicht jetzt, nicht morgen - niemals. Geh zurück zu ihr, Lestat. Lebe dieses sterbliche Leben.«
»Wie kannst du es wagen, diese Wahl für mich zu treffen!« Ich stand wieder auf den Beinen, und jetzt winselte und bettelte ich nicht mehr.
»Du brauchst mich nicht noch einmal anzuspringen«, warnte er geduldig. »Wenn du es tust, werde ich dich verletzen. Und das möchte ich nicht.«
»Ah, du hast mich getötet! Das hast du getan! Denkst du, ich glaube all deine Lügen? Du hast mich zu diesem verfaulenden,
Weitere Kostenlose Bücher