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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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diesem Tag. »Lestat, wir haben keine Zeit für so etwas.«
    »David, angenommen, wir haben Erfolg, dann ist das jetzt vielleicht unsere letzte Gelegenheit.«
    »Also schön«, sagte er, »wir haben noch reichlich Zeit, darüber heute abend in unserem Hotel am Strand in Grenada zu diskutieren. Es hängt natürlich davon ab, wie schnell Sie die Lektionen über astrale Projektion begreifen. Und jetzt zeigen Sie bitte ein bißchen jugendliche Tatkraft von der konstruktiven Seite und helfen Sie mir mit dem Koffer. Ich bin ein Mann von vierundsiebzig Jahren.«
    »Prächtig. Aber etwas will ich wissen, bevor wir gehen.«
    »Was denn?«
    »Warum helfen Sie mir?«
    »Ach, um der Liebe des Himmels willen, Sie wissen doch, warum.«
    »Nein, das weiß ich nicht.«
    Er starrte mich eine ganze Weile mit nüchternem Blick an. »Weil Sie mir am Herzen liegen. Es ist mir gleichgültig, in welchem Körper Sie stecken. Wirklich. Aber um ganz ehrlich zu sein, dieser schauderhafte Körperdieb, wie Sie ihn nennen, macht mir angst. Er macht mir angst bis ins Mark. Er ist ein Dummkopf, und er führt immer nur seinen eigenen Untergang herbei, das stimmt. Aber diesmal glaube ich nicht, daß Sie recht haben. Er ist ganz und gar nicht erpicht darauf, sich fangen zu lassen, wenn er das je war. Er rechnet mit einer langen Serie von Erfolgen, und es kann sein, daß er von der QE2 sehr bald die Nase voll haben wird. Deshalb müssen wir handeln. Und jetzt nehmen Sie den Koffer. Ich hätte mich fast umgebracht, als ich ihn die Treppe hinaufschleppte.« Ich gehorchte.
    Aber seine gefühlvollen Worte hatten mich milde und traurig gestimmt, und bruchstückhaft gingen mir die Bilder all der hübschen kleinen Dinge durch den Kopf, die wir in dem großen, weichen Bett nebenan hätten treiben können.
    Und was wäre, wenn der Körperdieb das Schiff bereits verlassen hatte? Oder wenn er heute morgen vernichtet worden war - nachdem Marius mich mit so viel Verachtung angeschaut hatte?
    »Dann fahren wir weiter nach Rio«, sagte David und ging zum Tor voraus. »Da kämen wir rechtzeitig zum Karneval. Ein hübscher Urlaub für uns beide.«
    »Ich sterbe, wenn ich so lange leben muß!« sagte ich und ging auf der Treppe voraus. »Das Dumme bei Ihnen ist, daß Sie sich daran gewöhnt haben, ein Mensch zu sein, weil Sie es schon so lange sind.«
    »Ich war bereits daran gewöhnt, als ich zwei Jahre alt war«, versetzte er trocken.
    »Das glaube ich Ihnen nicht. Ich beobachte zweijährige Menschen seit Jahrhunderten mit Interesse. Ihnen geht es jämmerlich. Sie stolpern herum, fallen um und schreien fast immer. Sie hassen es, Menschen zu sein! Sie wissen nämlich schon, daß es ein mieser Trick ist.«
    Er lachte leise, gab aber keine Antwort. Er sah mich auch nicht an. Das Taxi wartete schon, als wir zur Tür herauskamen.

Zwanzig
    D er Flug wäre wiederum ein Alptraum gewesen, wenn ich nicht so müde gewesen wäre, daß ich schlief. Volle vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit ich in Gretchens Armen träumend geruht hatte, und tatsächlich schlief ich so tief, daß ich kaum wußte, wo wir waren oder was wir vorhatten, als David mich zum Umsteigen in Puerto Rico weckte; einen seltsamen Augenblick lang fühlte es sich völlig normal an, diesen mächtigen Körper umherzuschleppen, verwirrt und Davids Befehlen besinnungslos gehorchend.
    Wir brauchten das Terminal nicht zu verlassen, um umzusteigen. Und als wir endlich auf Grenada landeten, nahm ich überrascht zur Kenntnis, wie dicht und köstlich die karibische Wärme und wie strahlend der Himmel in der Dämmerung war.
    Die ganze Welt schien verändert von den sanften, balsamischen Winden, die uns willkommen hießen. Ich war froh, daß wir ein Geschäft in der Canal Street in New Orleans geplündert hatten, denn die schwere Tweedkleidung fühlte sich äußerst unpassend an. Als das Taxi auf der schmalen, holprigen Straße dahinschaukelte und uns zu unserem Hotel am Strand brachte, sah ich ganz gebannt den üppigen Wald, die großen roten Hibiskusblüten hinter kleinen Zäunen und die anmutigen Kokospalmen, die sich über die kleinen, baufälligen Häuschen am Hang erhoben, und ich brannte darauf, das alles nicht mit dieser trüben, frustrierenden Nachtsicht der Sterblichen zu sehen, sondern im magischen Licht der Morgensonne. Es war unbestreitbar so etwas wie eine Buße gewesen, wie ich mich in der niederträchtigen Kälte von Georgetown der Verwandlung unterzogen hatte; daran war überhaupt nicht zu zweifeln.

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