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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schrecken, daß der Grund auf der Hand liegen könnte, und vielleicht verwarf ich ihn deshalb sofort.
    Dennoch gefiel es mir ziemlich gut, vor allem natürlich der Schluß, wo Faust in den Himmel kommt. Ich glaube nicht, daß es in den älteren Legenden so endete. Faust fuhr immer in die Hölle. Ich schrieb es Goethes romantischem Optimismus zu und auch der Tatsache, daß er schon so alt gewesen war, als er den Schluß geschrieben hatte. Das Werk der sehr Alten ist immer äußerst kraftvoll und fesselnd, unendlich bedenkenswert - um so mehr vielleicht, weil so viele Künstler ihre schöpferische Energie verlieren, bevor sie wirklich alt sind.
    In der frühen, noch dunklen Morgenstunde, wenn David im Mutterhaus verschwunden war, streifte ich allein durch die Stadt. Ich wollte sie kennenlernen, weil David sie kannte, weil Amsterdam ein Teil seines Lebens war.
    Ich wanderte durch das gewaltige Rjjksmuseum und betrachtete die Gemälde Rembrandts, den ich schon immer geliebt hatte. Wie ein Dieb schlich ich durch das Rembrandthaus in der Jodenbreestraat, das jetzt bei Tag ein kleiner Tempel für die Öffentlichkeit ist, arid ich zog durch die unzähligen engen Straßen der Stadt und spürte den Schimmer alter Zeiten. Amsterdam ist ein aufregender Ort; es wimmelt hier von jungen Leuten aus allen Teilen des neuen, homogenisierten Europa - eine Stadt, die niemals schläft.
    Ich wäre wahrscheinlich nie hergekommen, wenn David nicht gewesen wäre. Diese Stadt hatte mich nie gereizt. Und jetzt fand ich sie überaus angenehm, mit ihrem regen nächtlichen Treiben eine Stadt für Vampire - aber natürlich ging es mir darum, David zu sehen. Mir war klar, daß ich nicht wieder verschwinden konnte, ohne wenigstens ein paar Worte mit ihm gewechselt zu haben.
    Endlich, eine Woche nach meiner Ankunft, fand ich David kurz nach Sonnenuntergang im leeren Rijksmuseum; er saß auf der Bank vor Rembrandts großem Porträt der Tuchmachergilde.
    Wußte er auf irgendeine Weise, daß ich da war? Unmöglich - und doch war er hier.
    Und aus seinem Gespräch mit dem Wärter - der sich eben von David verabschiedete - ging deutlich hervor, daß sein ehrwürdiger Orden bemooster Schnüffler die Künste in den verschiedenen Städten, in denen er seine Domizile unterhielt, in mächtigem Umfang förderte. So war es für die Mitglieder kein Problem, Zutritt zu den Museen zu bekommen und ihre Schätze anzuschauen, wenn die Öffentlichkeit draußen bleiben mußte.
    Wenn man daran denkt, daß ich in diese Häuser einbrechen muß wie ein billiger Gauner!
    Es war totenstill in den hohen Marmorhallen, als ich zu ihm kam. Er saß auf der langen Holzbank, seinen Faust, der inzwischen von Eselsohren und Lesezeichen starrte, nachlässig und gleichgültig in der rechten Hand.
    Er starrte unentwegt auf das Bild; es zeigte mehrere stattliche Holländer, die an einem Tisch versammelt waren und ohne Zweifel geschäftliche Angelegenheiten miteinander verhandelten, gleichwohl aber den Betrachter unter den breiten Krempen ihrer großen schwarzen Hüte hervor mit heiterer Gelassenheit anschauten. Aber das ist kaum alles, was dieses Bild ausstrahlt. Die Gesichter sind von exquisiter Schönheit, voll von Weisheit und Sanftmut und einer beinahe engelsgleichen Geduld. Ja, diese Männer haben mehr Ähnlichkeit mit Engeln als mit gewöhnlichen Menschen.
    Sie scheinen um ein großes Geheimnis zu wissen, und wenn alle Menschen dieses Geheimnis erfahren könnten, würde es auf der Welt keinen Krieg, kein Laster, keine Bosheit mehr geben. Wie konnten solche Leute im siebzehnten Jahrhundert zu Mitgliedern der Amsterdamer Tuchmachergilde werden? Aber ich greife in meiner Erzählung vor…
    David schrak auf, als ich erschien,, langsam und lautlos kam ich aus dem Schatten auf ihn zu und setzte mich neben ihn auf die Bank.
    Ich war wie ein Landstreicher gekleidet, denn ich hatte in Amsterdam keine richtige Wohnung erworben, und mein Haar war vom Wind zerzaust.
    Eine ganze Weile saß ich völlig regungslos da und öffnete meinen Geist mit einer Willensanstrengung, die sich beinahe anfühlte wie ein menschlicher Seufzer; ich ließ ihn wissen, wie besorgt ich um sein Wohlergehen war und wie ich mich um seinetwillen bemüht hatte, ihn in Frieden zu lassen.
    Er hatte Herzklopfen. Als ich mich ihm zuwandte, war sein Gesicht erfüllt von unmittelbarer, großzügiger Wärme.
    Er streckte die rechte Hand aus und umfaßte meinen rechten Arm. »Ich freue mich wie immer, Sie zu sehen; ich freue mich

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