Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
bemühte, er konnte die Leute nicht dazu bringen, sie zu verbrennen, wegzuwerfen oder zugunsten neuer, modernerer Maler beiseite zu stellen. Ja, es geschah etwas Sonderbares, das anscheinend ohne einen erkennbaren Anfang war: Rembrandt wurde bewundert wie kein anderer Maler, der je gelebt hatte; Rembrandt wurde zum größten Maler aller Zeiten.
Das ist meine Theorie über Rembrandt und diese Gesichter.
Wenn ich ein Sterblicher wäre, würde ich einen Roman über Rembrandt und dieses Thema schreiben. Aber das bin ich nicht. Ich kann meine Seele nicht durch Kunst oder gute Werke retten.
Ich bin ein Wesen wie der Teufel - mit einem Unterschied: Ich liebe die Bilder Rembrandts!
Und doch bricht es mir das Herz, wenn ich sie ansehe. Es brach mir das Herz, Sie dort im Museum zu sehen. Und Sie haben völlig recht: Es gibt keine Vampire mit Gesichtern wie die Heiligen der Tuchmachergilde.
Deshalb habe ich Sie im Museum so unhöflich sitzenlassen. Es war nicht die Wut des Teufels. Es war bloß Trauer.
Nochmals: Ich verspreche Ihnen, wenn wir uns wiedersehen, werde ich Sie sagen lassen, was Sie sagen wollen.
Ich kritzelte die Nummer meines Pariser Agenten und seine Postadresse unten auf diesen Brief, wie ich es schon öfter getan hatte, wenn ich an David geschrieben hatte. Aber David hatte nie geantwortet.
Dann begab ich mich auf eine Art Pilgerfahrt zu den Gemälden Rembrandts in den Sammlungen dieser Welt. Ich sah nichts auf diesen Reisen, was mich in meinem Glauben an das Gute in Rembrandt hätte wankend machen können. Die Pilgerfahrt erwies sich als Bußreise; ich blieb bei meiner Fiktion über Rembrandt, aber ich beschloß von neuem, David nie wieder zu behelligen.
Und dann hatte ich den Traum. Tiger, Tiger… David in Gefahr. Ich schrak in meinem Sessel in Louis’ kleiner Hütte aus dem Schlaf - als habe eine warnende Hand mich geschüttelt.
Die Nacht in England war fast zu Ende. Ich mußte mich beeilen. Aber als ich David schließlich fand, war er in einem altmodischen kleinen Gasthof in einem Dorf in den Cotswolds, das nur über eine einzige schmale und tückische Straße zu erreichen ist.
Es war sein Heimatdorf, nicht weit vom Landsitz seiner Familie, erkannte ich bald, nachdem ich die Leute um ihn herum sondiert hatte - ein kleines Dorf mit einer einzigen Straße und Häusern aus dem sechzehnten Jahrhundert, mit Geschäften und einem einzigen Gasthof, der auf das unbeständige Touristengeschäft angewiesen war; David hatte ihn aus eigener Tasche renovieren lassen und besuchte ihn jetzt immer öfter, um dem Londoner Leben zu entkommen.
Ein wahrhart gespenstisches Fleckchen!
Aber David tat nichts weiter, als seinen geliebten Single Malt Scotch zu schlürfen und Servietten mit Teufelszeichnungen zu bekritzeln. Mephistopheles mit seiner Laute? Der gehörnte Satan, tanzend im Mondschein? Es muß seine Niedergeschlagenheit gewesen sein, was ich über die Meilen hinweg gespürt hatte - oder, zutreffender gesagt, die Sorge derer, die ihn beobachteten. Ihr Bild von ihm war es, was ich aufgefangen hatte.
Ich wollte so gern mit ihm reden. Ich wagte es nicht. Ich hätte zuviel Aufsehen erregt in dieser kleinen Kneipe, wo der besorgte alte Wirt und seine beiden düster brütenden, schweigenden Neffen wach blieben und ihre stinkenden Pfeifen rauchten, einzig wegen der erhabenen Anwesenheit ihres lokalen Lords - der sich hier aufs fürstlichste betrank.
Eine Stunde lang hatte ich dagestanden und durch das kleine Fenster hineingespäht. Dann war ich weggegangen.
Und jetzt - viele, viele Monate später -, als der Schnee auf London herabrieselte und in großen, lautlosen Flocken über die hohe Fassade des Mutterhauses der Talamasca wehte, suchte ich ihn wieder, dumpf und müde, und ich dachte, es gebe niemanden auf der Welt, den ich sehen müsse, außer ihm. Ich durchforschte die Gedanken der Ordensmitglieder, der schlafenden wie der wachen. Ich weckte sie. Ich hörte, wie sie aufmerksam wurden, hörte es so deutlich, als hätten sie beim Aufstehen das Licht über ihrem Bett angeknipst.
Aber ich hatte, was ich wollte, bevor sie mich aussperren konnten.
David war in das Schloß in den Cotswolds gefahren, das zweifellos irgendwo in der Nähe des wunderlichen kleinen Dorfes mit seiner gemütlichen Kneipe lag.
Nun, das konnte ich doch finden, oder? Ich machte mich auf, ihn dort zu suchen.
Es schneite noch heftiger, als ich dicht über der Erde dahinflog, kalt und wütend, und alle Erinnerung an das Blut, das ich
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