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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schon genug Leid; von David konnte ich nicht auch noch sprechen. Ich wollte auch nicht über Gretchen reden. Und plötzlich erkannte ich, daß ich nichts auf der Welt lieber getan hätte, als mich ihm zuzuwenden, meine Arme um seinen Hals zu schlingen und an seiner Schulter zu weinen, wie ich es noch nie zuvor getan hatte.
    Wie schändlich! Wie naheliegend! Wie abgeschmackt! Und wie wunderbar.
    Ich tat es nicht.
    Schweigend saßen wir da. Hinter den bunten Fenstern schwoll die leise Kakophonie der Stadt an und wieder ab, und der matte Schimmer der Straßenbeleuchtung draußen fing sich im farbigen Glas. Der Regen hatte wieder eingesetzt, der sanfte, warme Regen von New Orleans, in dem es sich so angenehm Spazierengehen läßt wie in einem feinen Nebel.
    »Ich möchte, daß du mir verzeihst«, sagte er. »Du sollst begreifen, daß es nicht Feigheit und nicht Schwäche war. Was ich da zu dir sagte, war die Wahrheit. Ich konnte es nicht! Ich kann niemanden in das hier hereinbringen! Nicht einmal, wenn es ein Sterblicher ist, in dem du steckst. Ich konnte es einfach nicht.«
    »Das weiß ich alles«, sagte ich.
    Ich wollte es dabei belassen. Aber ich konnte nicht. Mein Zorn kühlte sich nicht ab, mein wunderbarer Jähzorn, der Jähzorn, der mich veranlaßt hatte, David Talbots Kopf an einer Wand zu zerschmettern.
    Er ergriff noch einmal das Wort. »Ich verdiene, was immer du dazu zu sagen hast.«
    »Ah, mehr als das!« sagte ich. »Aber eines will ich wissen.« Ich sah ihn an und sprach mit zusammengebissenen Zähnen. »Hättest du mich für immer abgewiesen? Wenn sie meinen rechtmäßigen Körper vernichtet hätten, die anderen - Marius und wer sonst davon wußte -, wenn ich in dieser sterblichen Gestalt gefangen gewesen wäre, wenn ich wieder und wieder und wieder zu dir gekommen wäre und dich angefleht und gebettelt hätte: Hättest du mich für alle Zeit ausgeschlossen? Wärest du standhaft geblieben?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Antworte nicht so schnell. Suche nach der Wahrheit in dir. Du weißt es nämlich. Benutze deine schmutzige Fantasie. Du weißt es. Hättest du mich abgewiesen?«
    »Ich weiß die Antwort nicht!«
    »Ich verachte dich!« sagte ich in bitterem, rauhem Flüsterton. »Ich sollte dich vernichten - beenden, was ich anfing, als ich dich machte. Dich in Asche verwandeln und durch meine Finger rieseln lassen. Du weißt, ich könnte es! Einfach so! Wie ein Sterblicher mit den Fingern schnippt. Ich könnte dich verbrennen, wie ich dein Häuschen niedergebrannt habe. Und nichts könnte dich retten. Gar nichts.«
    Ich funkelte ihn an, sah die scharfgeschnittenen, anmutigen Kanten seines unbewegten Gesichts, das sich matt phosphoreszierend von den dunkleren Schatten der Kirche abhob. Wie schön die weit auseinander liegenden Augen waren mit den feinen, dichten schwarzen Wimpern, wie makellos die zarte Kerbung seiner Oberlippe.
    Der Zorn brannte wie Säure in mir und zerstörte die Adern, durch die er floß, verbrannte das übernatürliche Blut.
    Und doch konnte ich ihm nichts antun. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, diese furchtbaren, feigen Drohungen auszuführen. Nie hätte ich Claudia etwas antun können. Ah, etwas aus nichts zu machen - ja. Die Mosaiksteine in die Höhe werfen, um zu sehen, wie sie fallen - ja. Aber Rache… Ah, dürre, furchtbare, abscheuliche Rache. Was bedeutet sie mir?
    »Denke darüber nach«, flüsterte er. »Könntest du noch einen erschaffen, nach allem, was passiert ist?« Mit sanftem Beharren fuhr er fort. »Könntest du den Zauber der Finsternis noch einmal wirken? Ah - jetzt läßt du dir Zeit mit der Antwort. Suche tief in dir nach der Wahrheit, wie du es mir soeben befohlen hast. Und wenn du die Antwort weißt, brauchst du sie mir nicht zu sagen.«
    Dann beugte er sich vor und verringerte den Abstand zwischen uns, und er drückte seine glatten, seidigen Lippen an meine Wange. Ich wollte zurückweichen, aber mit all seiner Kraft hielt er mich fest, und ich ließ ihn zu, diesen kalten, leidenschaftslosen Kuß, und schließlich war er derjenige, der zurückwich wie ein Bündel Schatten, die ineinanderfielen; nur seine Hand lag noch auf meiner Schulter, und ich hatte den Blick nicht vom Altar gewandt.
    Schließlich stand ich langsam auf, ging an ihm vorbei, weckte Mojo und winkte ihm mitzukommen.
    Ich ging den Mittelgang hinunter zum Portal der Kirche. Ich fand die schattendunkle Nische, in der die immerwährenden Kerzen vor der Statue der Heiligen Jungfrau brennen,

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