Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
den alles durchtränkenden Schweiß nicht und auch nicht die schneidende Kälte. Ich wollte die blendende Dunkelheit nicht, nicht die Geräusche, die mir die Ohren verstopften, und nicht die hastige, hektische Kulmination erotischer Leidenschaft. Ich wollte die Alltäglichkeiten nicht und nicht die Häßlichkeit, nicht die Isolation und nicht die beständige Erschöpfung.«
»Das hast du mir schon erklärt. Aber es muß doch etwas gegeben haben … und wäre es auch eine Kleinigkeit… das gut war!«
»Was glaubst du denn?«
»Das Licht der Sonne.«
»Genau. Das Licht der Sonne auf dem Schnee; das Licht der Sonne auf dem Wasser, das Licht der Sonne… auf deinen Händen und auf deinem Gesicht, das all die geheimen Falten der ganzen Welt auseinanderstülpt wie eine aufblühende Blume, als wäre das alles nur Teil eines großen, seufzenden Organismus. Das Licht der Sonne … auf dem Schnee.«
Ich brach ab. Ich wollte es ihm eigentlich nicht erzählen. Mir war, als hätte ich mich selbst verraten.
»Es gab noch anderes«, sagte ich. »Oh, es gab noch vieles. Nur ein Trottel hätte es nicht gesehen. Eines Nachts, wenn wir wieder warm und behaglich zusammensitzen, als wäre das alles nie passiert, werde ich es dir vielleicht erzählen.«
»Aber es war nicht genug.«
»Nicht für mich. Nicht mehr.«
Schweigen.
»Vielleicht war das das Beste daran«, fuhr ich fort. »Diese Entdeckung. Und daß ich mich nicht länger einer Täuschung hingebe. Daß ich jetzt weiß, ich bin wirklich gern der kleine Teufel, der ich bin.«
Ich sah ihn an und schenkte ihm ein reizendes, boshaftes Lächeln.
Er war viel zu klug, um darauf hereinzufallen. Er seufzte beinahe lautlos; seine Lider senkten sich für einen Moment, und dann sah er mich wieder an.
»Nur du konntest dort hingehen«, sagte er, »und wieder zurückkommen.«
Gern hätte ich gesagt, daß es nicht stimme. Aber wer sonst wäre denn so dumm gewesen, dem Körperdieb zu vertrauen? Wer sonst hätte sich dermaßen bedenkenlos in dieses Wagnis gestürzt? Und als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, was ich längst hätte erkennen müssen: daß ich gewußt hatte, welches Risiko ich da einging. Für mich war es der Preis dieses Unternehmens gewesen. Der Dämon hatte mir gesagt, daß er ein Lügner war, er hatte mir gesagt, daß er ein Betrüger war. Aber ich hatte mich trotzdem darauf eingelassen, weil es einfach keinen anderen Weg gegeben hatte.
Natürlich war es das eigentlich nicht, was Louis mit seinen Worten meinte - aber in gewisser Weise eben doch. Es war die tiefer liegende Wahrheit.
»Hast du in meiner Abwesenheit gelitten?« Ich schaute wieder zum Altar.
Ganz nüchtern antwortete er: »Es war die Hölle.«
Ich sagte nichts.
»Jedes Wagnis, das du unternimmst, verletzt mich«, fuhr er fort. »Aber das ist meine Sorge und mein Fehler.«
»Warum liebst du mich?« fragte ich.
»Das weißt du; du hast es immer gewußt. Ich wünschte, ich könnte an deiner Stelle sein. Ich wünschte, ich könnte die Freude kennen, die du die ganze Zeit erlebst.«
»Und den Schmerz - willst du den auch?«
»Deinen Schmerz?« Er lächelte. »Sicher. Einen Schmerz von deiner Sorte nehme ich jederzeit mit Vergnügen, wie man so sagt.«
»Du selbstgefälliger, zynischer, verlogener Bastard«, zischte ich; mein Zorn wallte auf, und das Blut strömte mir sogar ins Gesicht. »Ich habe dich gebraucht, und du hast mich abgewiesen! Du hast mich in die sterbliche Nacht hinausgetrieben. Du hast mich verstoßen. Du hast mir den Rücken gekehrt!«
Die Hitze meines Tons erschreckte ihn. Sie erschreckte mich. Aber sie war da, und ich konnte sie nicht verleugnen, und wieder zitterten meine Hände, diese Hände, die mir davongesprungen und den falschen David gepackt hatten, auch wenn ich all die anderen tödlichen Kräfte, die ich in mir hatte, im Zaum gehalten hatte.
Er sagte kein Wort. Sein Gesicht zeigte all die kleinen Veränderungen, die der Schock hervorbringt - ein Augenlid zuckte leicht, der Mund verzog sich und erschlaffte dann, der Gesichtsausdruck schien kaum merklich zu gerinnen, und gleich darauf war alles wieder vergangen, so schnell es gekommen war. Die ganze Zeit hielt er meinem vorwurfsvollen Blick stand; dann schlug er langsam die Augen nieder.
»Es war David Talbot, dein sterblicher Freund, der dir geholfen hat, nicht wahr?« fragte er.
Ich nickte. Aber bei der bloßen Erwähnung dieses Namens war mir, als habe ein glühender Draht meine Nerven berührt. Es gab hier
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