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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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vorüber. Der Lärm von der Rue Bourbon war laut wie immer. So viel siedendes sterbliches Fleisch gab es dort. Ich hatte schon getrunken. Aber ich würde noch einmal trinken.
    Die Geräusche der Nacht indessen waren besänftigend. Überall in den engen Straßen des Quarters, in den winzigen Wohnungen und den stimmungsvollen kleinen Kneipen, in den schicken Cocktailbars und in den Restaurants, waren glückliche Sterbliche, die lachten und plauderten, sich küßten und umarmten.
    Ich ließ mich behaglich auf meiner Bank zurücksinken und breitete die Arme auf der Lehne aus, als wäre es eine Parkbank. Mojo war im Gang neben mir eingeschlafen; seine lange Nase ruhte auf den Vorderpfoten.
    Wäre ich doch an deiner Stelle, mein Freund; du siehst aus wie der Teufel persönlich und bist nur groß und täppisch und gut. Ah ja, gut. Es war das Gute in ihm, was ich fühlte, wenn ich die Arme um ihn schlang und das Gesicht in seinem Fell vergrub.
    Aber jetzt war er in die Kirche gekommen.
    Ich spürte seine Anwesenheit, wenngleich ich keinen Schimmer von seinen Gedanken oder Gefühlen wahrnehmen konnte und auch seinen Schritt nicht hörte. Ich hatte auch nicht vernommen, wie die äußere Tür sich geöffnet oder geschlossen hatte. Dennoch wußte ich, daß er da war. Und dann sah ich den Schatten aus dem linken Augenwinkel. Er schob sich in die Bank und setzte sich ein Stück weit entfernt neben mich.
    Lange saßen wir schweigend da. Dann sprach er.
    »Du hast mein kleines Haus niedergebrannt, nicht wahr?« fragte er mit dünner, vibrierender Stimme.
    »Kannst du es mir verdenken?« fragte ich lächelnd, ohne den Blick vom Altar zu wenden. »Außerdem war ich ein Mensch, als ich es tat. Es war menschliche Schwäche. Willst du zu mir ziehen?«
    »Soll das heißen, daß du mir vergeben hast?«
    »Nein, es soll heißen, daß ich mit dir spiele. Vielleicht werde ich dich sogar vernichten für das, was du mir angetan hast. Ich habe mich noch nicht entschieden. Hast du Angst?«
    »Nein. Wenn du mich beseitigen wolltest, hättest du es längst getan.«
    »Sei dir da nicht so sicher. Ich bin nicht ich selbst, und ich bin es, doch, und dann wieder bin ich es doch nicht.«
    Langes Schweigen. Nur Mojo war zu hören, wie er rauh und tief im Schlaf atmete.
    »Ich bin froh, dich zu sehen«, sagte er. »Ich wußte, daß du gewinnen würdest. Ich wußte nicht, wie.«
    Ich gab keine Antwort. Aber plötzlich kochte ich innerlich. Wieso wurden mir meine Tugenden wie meine Fehler zum Vorwurf gemacht?
    Aber was nützte das alles - ihm Vorwürfe zu machen, ihn zu packen und zu schütteln, ihm Antworten abzuverlangen? Vielleicht war es besser, nichts zu wissen.
    »Erzähl mir, was passiert ist«, bat er.
    »Das werde ich nicht tun«, antwortete ich. »Wieso um alles in der Welt willst du es wissen?«
    Unsere gedämpften Stimmen hallten leise durch das Kirchenschiff. Das Flackerlicht der Kerzen spielte auf der Vergoldung an den Kapitellen der Säulen und auf den Gesichtern der fernen Statuen. Oh, es gefiel mir hier in der Stille und der Kühle. Und im innersten Herzen mußte ich zugeben, ich war froh, daß er gekommen war. Manchmal dienen Haß und Liebe ein und demselben Zweck.
    Ich drehte mich zur Seite und sah ihn an. Er war mir zugewandt, hatte einen Fuß auf die Bank gestellt und die Arme auf das Knie gelegt. Er war bleich wie immer, ein kunstvoller Schimmer im Dunkeln.
    »Du hattest recht mit dem, was du über das ganze Experiment gesagt hast«, bemerkte ich. Zumindest meine Stimme klang fest, dachte ich.
    »Inwiefern?« Keine Niedertracht in seinem Ton, keine Herausforderung, nur das subtile Verlangen nach Wissen. Und was für ein Trost es war - der Anblick seines Gesichtes, der feine Staubgeruch seiner abgetragenen Kleider, der Hauch von frischem Regen, der immer noch in seinem dunklen Haar klebte.
    »Was du mir gesagt hast, mein lieber alter Freund und Geliebter«, erklärte ich. »Daß ich in Wirklichkeit kein Mensch sein wollte. Daß es ein Traum sei, ein Traum, der auf Falschheit basierte, auf eitler Illusion und Stolz.«
    »Ich kann nicht behaupten, daß ich es verstanden habe«, sagte er. »Ich verstehe es nicht einmal jetzt.«
    »O doch. Du verstehst es sehr gut. Immer schon. Vielleicht hast du lange genug gelebt, vielleicht warst du auch immer der Stärkere. Aber du wußtest es. Ich wollte die Schwäche nicht; ich wollte die Beschränkungen nicht. Ich wollte die widerlichen Bedürfnisse und die endlose Verwundbarkeit nicht, ich wollte

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