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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Steppe. Jetzt endlich sah ich die Menschen, deren Geruch mich die ganze Zeit schon irritiert hatte - eine kleine Gruppe spärlich bekleideter Nomaden, die sich in einiger Entfernung mit gleichmäßigem Tempo zu Fuß durch das Gras bewegten.
    »Und die Eiszeit wird erst noch kommen«, wiederholte ich. Ich wandte mich hierhin und dorthin, bemüht, mir das Aussehen der enorm großen Bäume genau einzuprägen. Doch dabei bemerkte ich, daß der Wald sich verändert hatte.
    »Schau dir nur die Menschen sorgfältig an.« Er zeigte auf sie. »Was siehst du?«
    Ich kniff die Augen zusammen und griff auf meine vampirischen Kräfte zurück, um deutlicher sehen zu können. »Männer und Frauen, die den heutigen Menschen ziemlich ähneln. Ja, ich würde sagen, Homo sapiens. Ich schätze, die heutige Spezies.«
    »Exakt. Fällt dir an ihren Gesichtern etwas auf?«
    »Sie haben eindeutig die Ausdrucksfähigkeit, die der der heutigen entspricht oder zumindest die, die von uns heutigen Menschen gedeutet werden kann. Einige blicken finster, andere reden, einige scheinen in Gedanken versunken. Der Mann mit den wirren Haaren, der ein wenig nachhinkt, scheint betrübt zu sein. Und die Frau, die mit den großen Brüsten - bist du sicher, daß sie uns nicht sehen kann?«
    »Ja. Sie schaut nur zufällig in unsere Richtung. Was unterscheidet sie von den Männern?«
    »Na, ihre Brüste, ganz klar, und die Tatsache, daß sie keinen Bart hat. Die Männer haben Barte. Ihr Haar ist auch länger, und, na ja, sie ist hübsch; sie hat einen zarten Knochenbau, sie ist sehr weiblich. Sie trägt kein Kind wie die ändern, deshalb muß sie die jüngste sein oder noch kein Kind geboren haben.«
    Er nickte.
    Mir schien, sie konnte uns sehen. Sie kniff die Augen genauso zusammen wie ich. Ihr Gesicht war länglich, oval, die Art, die ein Archäologe wohl als Cro-Magnon bezeichnen würde; sie hatte absolut nichts Affenartiges an sich, genausowenig wie ihre Sippe. Ihre Haut war goldbraun, etwa wie bei semitischen oder arabischen Menschen, wie Seine Haut, als ich Ihn im Himmel sah. Ihr dunkles Haar bewegte sich außerordentlich hübsch im Wind, als sie sich abwandte und weiterging. »Diese Leute sind so gut wie nackt.«
    Memnoch lachte laut auf.
    Wir zogen uns in den Wald zurück, verloren die Steppe aus den Augen. Die dunstig-feuchte Luft, die uns umgab, hatte einen intensiven Geruch. Und über uns türmten sich ungeheure Koniferen und Farne. Noch nie hatte ich Farne von dieser Größe gesehen, mit monströsen Wedeln, größer als die Blätter von Bananenstauden. Und was die Koniferen betraf, fielen mir als Vergleich nur die riesengroßen Rotholzbäume in den Wäldern Westkaliforniens ein - Bäume, die in mir stets ein Gefühl der Furcht und Einsamkeit hervorriefen.
    Memnoch schritt weiterhin voran, schenkte dem wimmelnden tropischen Dschungel, durch den wir uns bewegten, keine Beachtung. Merkwürdige Dinge glitten an uns vorbei; von fern hörte ich gedämpftes Gebrüll. Selbst der Boden war bedeckt mit grünem Gestrüpp, samtig, uneben, und an manchen Stellen schienen die Steine zu leben!
    Plötzlich spürte ich eine recht kühle Brise und schaute zurück über meine Schulter. Steppe und Menschen waren längst nicht mehr zu sehen. Hinter uns wuchsen die schattigen Farne so dicht, daß ich den Regen nicht gleich bemerkte, der weit oben auf das Grün fiel und nur mit seinem beruhigenden weichen Tropfen zu uns drang.
    Menschen hatte es in diesem Wald noch nie gegeben, das stand fest, aber was für Monster mochten hier in den Schatten lauem?
    »So«, sagte Memnoch, wobei er im Gehen die dichtbelaubten Zweige mit seinem rechten Arm mühelos beiseite schob, »und nun wollen wir präziser werden und zu dem kommen, was ich die Dreizehn Offenbarungen der Evolution genannt habe, so wie wir Engel sie wahrgenommen und mit Gott diskutiert haben. Halte dir stets vor Augen, daß wir durchweg nur von dieser Welt sprechen - Planeten, Sterne, andere Galaxien haben mit unserer Diskussion hier überhaupt nichts zu tun.«
    »Du meinst, wir sind das einzige Leben im gesamten Universum?«
    »Ich meine, meine Welt und mein Himmel und mein Gott sind alles, was ich kenne.«
    »Ich verstehe.«
    »Wie ich schon sagte, waren wir Zeugen komplexer geologischer Prozesse; wir sahen die Gebirge entstehen, wir sahen, wie das Meer entstand, sahen die Verschiebung der Kontinente. Unsere Hymnen voller Lob und Verwunderung endeten nie. Diese himmlischen Klänge kannst du dir nicht vorstellen; du

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