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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nie zuvor gesehen hatte. Das alles ist wahr. Und mit zunehmender Intelligenz fand der Mensch mehr Mittel und Wege, seinesgleichen großes Leid zuzufügen.
    Doch niemals habe ich in Kriegen, Exekutionen oder selbst bei der Zerstörung ganzer Siedlungen und Dörfer etwas gesehen, das die Gewalttätigkeiten des Insektenreichs oder der Welt der Reptilien oder die der niederen Säugetiere übertrifft, denn diese Tiere kämpfen blind und wollen nur zweierlei erreichen - überleben und ihre Art erhaltene
    Ich hielt inne, aus Höflichkeit und auch um des Effekts willen. Der Herr schwieg. So fuhr ich fort.
    ›Dann jedoch gelangten die Primaten - in ihrer mittlerweile stark ausgeprägten Ähnlichkeit mit Deinem Bilde, in dem auch wir uns erkennen - an einen Punkt, an dem sie sich in ganz auffallender Weise von der übrigen Natur unterschieden. Und das war nicht nur das Sich-selbst-Bewußtwerden, Herr, als ihnen der Zusammenhang von Leben und Tod offenbar wurde. So einfach war es nicht. Im Gegenteil, dieses Bewußtwerden erwuchs aus der neuerworbenen und völlig im Gegensatz zur Natur stehenden Fähigkeit zu lieben.
    Das war der Moment, in dem die Menschheit sich in Familienverbänden, in Clans und Stämmen zusammenschloß, deren enge Verbundenheit auf dem Wissen um die Individualität des einzelnen beruhte und nicht auf dem bloßen Erkennen der eigenen Art; und dieses Band der Liebe einte sie auf Dauer, in Leid und Glück.
    Herr, die menschliche Familie ist über die Natur hinausgewachsen. Wenn Du hinabgingest und -‹
    ›Memnoch, nimm dich in acht!‹
    ›Ja, Herr‹, nickte ich und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, um nicht in hemmungsloses Gestikulieren zu verfallen. ›Ich hätte sagen sollen, daß, als ich hinabging und diese Familien betrachtete -und es gab sie überall in dieser Welt, die Du in so großartiger Vielfalt geschaffen hast -, da betrachtete ich sie wie unbekannte und unerwartete Blumen. Blüten aus Gefühlen und Verstand, in ihrer zarten Jugend abgetrennt vom Stamm der Natur, die sie bisher genährt hatte, waren sie nun der Barmherzigkeit des Sturms überlassen. Liebe, Herr, erführ ich, ich fühlte die Liebe, die Männer und Frauen füreinander hegten und für ihre Nachkommen, ich fühlte die Bereitwilligkeit, sich füreinander zu opfern und um die Toten zu trauern und deren Seelen im Jenseits zu suchen - und, Herr, sich ein Jenseits auszudenken, in dem sie mit diesen Seelen wieder vereint sein könnten.
    Durch diese Liebe, durch diesen Zusammenhalt der Familien, der so außergewöhnlich und beispiellos aufblühte - in so schöpferischer Vielfalt, Herr, daß er ein Abbild Deiner Schöpferkraft zu sein schien -, schafften es die Seelen dieser Geschöpfe, nach ihrem Tode fortzuleben! Wer oder was in der Natur bringt das ebenfalls zustande, Herr? Was immer man der Erde nimmt, man muß es ihr zurückgeben. Deine Weisheit ist allenthalben offenbar; und alle, die leiden und sterben unter Deinem Himmelszelt, hüllst Du in barmherzige Unwissenheit über dieses System, in dem ihr eigener Tod beschlossen ist.
    Nicht so die Menschen! Die gegenseitige Liebe von Gefährte und Gefährtin und auch die der Angehörigen einer Familie ließen in ihren Herzen das Bild des Himmels entstehen. Sie haben ihn erträumt, diesen Ort, an dem die Seelen vereint, die Familien zusammengeführt werden, und alle singen in seliger Freude! Sie haben sich die Ewigkeit in ihrer Vorstellung geschaffen, denn ihre Liebe verlangte danach, Herr! Diese Ideen reiften in ihnen, wie ihre leiblichen Kinder als Samen in ihnen reiften. Ich, der Wächter, habe das gesehen.‹
    Wieder Stille. Im gesamten Himmel herrschte tiefstes Schweigen, allein die Geräusche der Erde drangen herauf, das Säuseln des Windes, das dunkle Wogen der Meere und die Schreie, verhaltene, von fern herüberklingende Schreie sowohl der irdischen Seelen als auch der Seelen in Scheol.
    ›Herr‹, drängte ich, ‘sie sehnen sich nach dem Himmel. Und da sie sich die Ewigkeit ausmalen oder die Unsterblichkeit, ich weiß nicht, was von beiden, erdulden sie Ungerechtigkeit, Trennung, Krankheit und Tod, wie es kein Tier sonst könnte. Ihre Seelen sind groß, und im Namen der wahren Liebe überwinden sie in Scheol Eigenliebe und Eigennutz. Die Liebe zwischen Scheol und der Erde ist ein immerwährender Fluß. Herr, sie haben sich dort eine niedere Form des überirdischen Hofes geschaffen! Herr, sie suchen Deinen Zorn zu besänftigen, denn sie wissen, daß es Dich gibt! Und,

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