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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gezeichnet und sein Spott so seinen Gefühlen unterworfen, daß den Worten der Stachel fehlte. »Und wer kannte wohl die Folgen?« fragte er. »Wer wohl! Ja, ja, ich würde die Seelen in Scheol stärken, bis die Himmelstore unter ihren Schreien zerbrächen und niederstürzten. Wenn man eine Seele hat und diese Seele sich entwickeln kann, dann kann man auch den Engeln gleich sein! Einzig eine Hoffnung war mir geblieben: unter den von Gott Vergessenen zu herrschen.«
    »Aber Gott ließ das nicht zu, nicht wahr? Er ließ dich nicht in diesem Körper sterben?«
    »Nein. Und meine Lehren wurden auch nicht mit der Sintflut fortgeschwemmt. Etwas blieb erhalten und wurde in Mythen und Schriften verarbeitet, nämlich daß ich dort gewesen war, daß ich sie etwas gelehrt hatte. Und zwar durchaus im Rahmen menschlicher Möglichkeiten; es war logisches Denken und nicht Magie, und sogar die Geheimnisse des Himmels hätten die Seelen vielleicht ganz allein herausgefunden. Früher oder später hätten sie das alles bestimmt selbst erkannt.«
    »Aber wie entkamst du von dort? Was geschah mit Lilia?«
    »Lilia? Ach, Lilia. Sie starb als die verehrte, angebetete Frau eines Gottes. Lilia.« Seine Miene hellte sich auf, und er lachte. »Lilia«, wiederholte er, und die Erinnerung brachte sie ihm wieder nahe. »Meine Lilia. Ausgestoßen, um ihr Los mit einem ›Gott‹ zu teilen.«
    »Gott hat dich zurückgeholt?« fragte ich. »Er hat deinem Tun ein Ende gesetzt?«
    Wir blickten uns einen Moment lang an. »Nicht ganz so einfach. Drei Monate etwa war ich dort gewesen, da wachte ich auf und entdeckte, daß Michael und Raphael zu mir gekommen waren und ganz deutlich sprachen: ›Gott verlangt nun nach dir.‹
    Und da ich nun einmal Memnoch, der Unverbesserliche, war, sagte ich: ›Oh? Warum hebt Er mich dann nicht empor und nimmt mich von hier fort oder was immer Er auch mit mir tun will?‹
    Bei diesen Worten schaute Michael um meinetwillen sehr betrübt drein und sagte: ›Memnoch, um der Liebe Gottes willen, begib dich freiwillig zurück in deine dir entsprechende Gestalt. Fühle, wie dein Körper an Größe gewinnt; laß dich von deinen Flügeln in den Himmel hinauftragen. Du sollst nur kommen, wenn du es selbst willst! Nun, Memnoch, denk nach, ehe du…‹
    ›Nein, du brauchst mich nicht zu warnen, mein Liebster, unterbrach ich Michael. ›Ich komme, mit Tränen in den Augen komme ich.‹ Ich kniete neben der schlafenden Lilia nieder und küßte sie. Da sah sie zu mir auf. ›Dies ist der Abschied, meine Gefährtin, meine Lehrmeisterin‹, sagte ich. Sie weinte. Ich küßte sie abermals, und als ich mich abwandte, wurde ich zum Engel, grenzte mich, für sie sichtbar, vom Stofflichen scharf ab, damit sie diese letzte Vision von mir in sich aufnehmen und als trostspendende Erinnerung in ihrem Herzen bewahren konnte. Dann, unsichtbar, schloß ich mich Michael und Raphael an und ging heim.
    Einen Moment lang konnte ich es kaum glauben; als ich Scheol durcheilte, weinten die Seelen voller Schmerz, und ich streckte ihnen tröstend die Hände entgegen. ›Ich werde euch nicht vergessen! Ich schwöre es. Ich nehme eure Bitten mit in den Himmel.‹ Und dann stieg ich höher und höher empor, das Licht strömte mir entgegen und umfing mich und ebenso Gottes tiefempfundene Liebe - ob ich einer Verurteilung, Strafe oder Vergebung entgegenging, wußte ich nicht. Das freudige Jubilieren im Himmel war selbst für meine Ohren betäubend.
    Alle Engel des bene ha elohim waren versammelt. Aus ihrer Mitte strahlte pulsierend Gottes Licht.
    ›Werde ich bestraft werden?‹ Und doch fühlte ich nur Dankbarkeit, als ich dieses Licht wieder gesehen hatte, wenn auch nur für Sekunden. Ich konnte diesen Glanz nicht anschauen. Ich mußte die Hände vor mein Gesicht halten. Und wie immer bei einer himmlischen Zusammenkunft schlössen sich die Seraphim und die Cherubim eng um Gott, so daß sich das Licht in gleißenden Strahlen zwischen ihnen hindurch ergoß und wir den Glanz ertragen konnten.
    Gottes Stimme klang unmittelbar und allumfassend. ›Ein Wort an dich, mein tapferer, mein arroganter Sohn‹, sagte Er. ›Ich habe einen Gedanken entwickelt, den du in deiner engelhaften Weisheit erwägen sollst. Er betrifft gehenna, die Hölle.‹ Die folgenschwere Bedeutung dieses Wortes lag offen vor meinen Augen. ›Feuer und Qualen in Ewigkeit, sagte Gott, ›die Verkehrung des Himmels. Sage mir, Memnoch, ganz ehrlich, wäre das die passende Bestrafung für dich -

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