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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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drang nicht an meine Ohren. Das Licht strömte in unermeßlichem Glanz zwischen den Gestalten der Seraphim und Cherubim hervor, und der Reichtum an Liebe schien ewiglich und beständig.
    ›Zu Stämmen auf der ganzen Welt haben sich meine Himmlischen Söhne begeben, das Fleisch kennenzulernen, wie du es erfahren hast, Memnoch. Allerdings wesentlich weniger geneigt und willens, den dichten Urnebel der Natur aufzurühren und dadurch absichtlich meine göttliche Vorsehung zu durchkreuzen.‹
    ›Herr, Gott, vergib mir, flüsterte ich. Und die Gruppe um mich stimmte im Chor ein, gedämpft und respektvoll.
    ›Aber ihr, die ihr hinter Memnoch steht, was könnt ihr anrühren über das Warum und Weshalb eures Tuns? Was habt ihr entdeckt? Welche Klage wollt ihr hier vor dem Himmlischen Gerichtshof vortragen?‹
    Die Antwort war Schweigen. Die Engel fielen demütig hingestreckt vor dem Herrn nieder, und mit einer solchen Hingabe baten sie um Vergebung, daß es keiner Redegewandtheit bedurfte. Ich stand allein da.
    ›Nun‹, sagte ich, ›es scheint, Herr, daß ich allein bin.‹
    ›Warst du das nicht immer? Mein Himmlischer Sohn, mein Engel, der kein Vertrauen in Gott hat.‹
    ›Herr, Gott, gewiß vertraue ich dir!‹ rief ich mit plötzlichem Zorn. ›Ganz bestimmt! Aber ich verstehe das alles nicht, und ich kann weder meinen Geist noch meine Persönlichkeit verleugnen, das ist mir unmöglich. Nein, nicht unmöglich, aber es… es scheint mir, zu schweigen wäre unrecht. Klage zu erheben scheint mir gerecht. Ich denke, das Beste, was ich tun kann, ist, zum einen diesen meinen Streitfall vorzutragen und zum ändern. Dir, Gott, zu gefallen‹.
    Unter den übrigen Engeln schien große Uneinigkeit zu herrschen - nicht unter den Wächtern hinter mir, die meine ich nicht, die wagten kaum, sich auf ihre unsichtbaren Füße zu stellen, und hatten ihre Schwingen um sich gefaltet wie ängstliche Vögel in ihrem Nest, sondern ich meine den gesamten Himmlischen Hofstaat. Gemurmel und gedämpftes Singen, Bruchstücke von Melodien und Gelächter erklangen und dazwischen leise, eindringliche Fragen. Viele wandten sich mir neugierig zu, einige aber auch voller Zorn.
    ›Trage deine Klage vor!‹ forderte der Herr. ›Aber ehe du beginnst, erinnere dich, um meinetwillen und wegen all der anderen, die zugegen sind, daß ich alles weiß und kenne. Ich kenne die Menschheit, wie du sie niemals kennen wirst. Ich habe ihre blutigen Altäre gesehen, ihre Regentänze und ihre stinkenden Opferfeuer, ich habe die Schreie der Verwundeten, der Gequälten, der langsam Dahinsiechenden gehört. Ich sehe in der Menschheit die Natur, wie ich sie in der Wildnis der Meere und Wälder sehe. Verschwende nicht meine Zeit, Memnoch. Oder deutlicher gesagt, damit du verstehst, was ich meine, verschwende nicht die Zeit, die du mit mir gemeinsam hast.‹
    So war also der Augenblick gekommen. Ich stand stumm da, bereitete mich innerlich vor. Niemals in meinem ganzen Sein hatte ich ein Ereignis als derart wichtig oder bedeutend empfunden wie dieses hier. Ein Gefühl von Erregung, du würdest vielleicht sagen, von Übersteigerung. Ich hatte meine Zuhörerschaft. Und ich selbst kannte keine Zweifel! Aber inzwischen war ich so erbost über die Menge hinter mir, die da auf dem Bauch am Boden lag, stumm und reglos! Und in meiner Wut über sie entschied ich, daß ich kein Wort sagen würde, solange sie da liegenblieben, um mich Gott und seinem Hofstaat allein zu überlassen. Ich verschränkte die Arme und verharrte in dieser Haltung.
    Gott begann zu lachen, ein langsames, sacht anschwellendes Lachen, in das alle im Himmel unwiderstehlich einfielen. Und Gott sprach zu den am Boden liegenden Wächtern: ›Steht auf, meine Söhne, oder wir werden hier noch am Ende aller Zeiten stehen/
    ›Spott, Herr, und ich habe ihn verdient‹, sagte ich. ›Aber ich danke Dir.‹
    Ich hörte hinter mir anhaltendes Geraschel von Flügeln und Gewändern, also erhoben sie sich nun, so daß sie gerade und aufrecht standen, mutigen irdischen Menschen gleich.
    ›Herr, der Fall liegt sehr einfach‹, begann ich, ›und Du kannst ihn gewiß nicht ignorieren. Ich werde ihn so schlicht und klar darlegen, wie ich nur kann.
    Bis zu einem bestimmten Punkt in seiner Entwicklung war der Primat dort unten Teil der Natur und damit deren Gesetzen unterworfen. Und als sein Gehirn wuchs, wuchs auch seine Schlauheit, und seine Kämpfe mit anderen Tieren wurden so brutal und blutig, wie der Himmlische Hof es

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