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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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bewußt, was man ihnen bisher vorenthalten hatte, und in Sekundenschnelle hatte ihnen diese Erkenntnis ihren Frieden und die Kraft zur Vergebung geraubt. Sie starrten mich voller Zorn und Entsetzen an. Die anderen Seelen versuchten sie eilends von ihrem Sinneswandel abzubringen, doch sie wollten nichts davon hören. Nein, diesen Gott wollten sie nicht sehen, denn er hatte Seine Schöpfung im Stich gelassen, sie allein gelassen mit ihren götzengeschmückten Altären und mit ihrem sinnlosen Flehen um sein Eingreifen, Sein Strafgericht! Nein und nochmals nein!
    ›Kommt‹, sprach ich zu den übrigen, ›laßt uns alles daransetzen und den Versuch wagen; wir suchen den Himmel auf! Wie viele sind wir? Tausendmal zehn? Eine Million? Was macht es aus? Gott sagte zehn, aber nicht höchstens zehn. Mindestens zehn meinte er. So laßt uns gehen!‹

Kapitel 16
    I n der nächsten Sekunde weiß ich Bescheid, dachte ich. Entweder Er läßt uns ein, oder Er wendet all Seine Macht gegen uns und wirft uns wieder hinab, wie Er mich einst auf die Erde niedergeworfen hat. Er könnte uns sogar alle auf der Stelle vernichten, denn gewiß kann Er Sein Urteil über Erfolg oder Mißerfolg meiner Mission fällen, ehe ich noch die Himmelstore erreicht habe. Was hatte Er in Seiner unendlichen Weisheit gesagt? ›Komm zurück, sobald du kannst.‹
    Ich zog die Seelen dicht an mich heran - so hielt ich dich auch, als ich dich mit mir nahm -, und wir stiegen aus Scheol auf zum Licht des Himmels, das hellodernd über die Mauern und Tore strahlte. Und diese Tore, die ich in früheren Äonen nie wahrgenommen hatte, wurden auch jetzt aufgestoßen, und wir - ein Erzengel und gerade mal ein paar Millionen menschlicher Seelen - fanden uns mitten im Himmel vor erstaunten, lachenden, auf uns zeigenden, irritierten, geschockten Engeln wieder, die sich in einem großen Kreis um uns scharten. Ich bat lauthals um Aufmerksamkeit, bis endlich Schweigen im Himmel herrschte.
    Nun, so weit, so gut. Wir sind drin, dachte ich. Doch die menschlichen Seelen! Die sahen nun die Engel vor sich, und sie waren außer sich vor Freude. Die Erinnerung an diesen Moment läßt mich tanzen und singen! Die Seelen jubilierten, und als die Engel ihre überwältigenden, kakophonischen Gesänge anstimmten, in die sie ihre Fragen und Ausrufe kleideten, begannen auch die menschlichen Seelen zu singen!
    Und ich wußte, der Himmel würde niemals mehr sein wie vorher. Ich begriff es sofort. Denn Folgendes geschah: Diese Seelen hatten die Fähigkeit zur Projektion, die sie in Scheol erworben hatten, mit sich hierhergebracht, diese machtvolle Fähigkeit, ihre ganze Willenskraft einzusetzen, um aus dem Nichts heraus eine Umwelt für sich zu erschaffen, wie sie sie sich wünschten.
    Und im gleichen Moment wurde die gesamte Beschaffenheit des Himmels auf dramatische Weise und in einem unglaublichen Ausmaß verändert. Türme, Burgen und Schlösser erhoben sich, so wie auch du sie dort gesehen hast; mit Kuppeln versehene Paläste und Bibliotheken und Gälten mit atemberaubenden, über alles hinweg-wuchernden Blumen - eben all die Dinge, die Engel im Traum nicht in den Himmel gebracht hätten… Ja, und da waren sie nun. Ausgewachsene Bäume ragten empor, duftgeschwängerte Regenschauer rieselten wie sanftes Geflüster herab. Der Himmel über uns erwärmte sich, und rings umher breiteten sich die Farben aus. Diese Seelen nahmen das irreale Gewebe des Himmels, woraus immer es auch bestehen mag - Energie, Grundstoff, Licht Gottes, Schöpferkraft Gottes -, und nur einen Lidschlag später umgaben sie uns mit den wundersamsten Konstruktionen, in denen sich ihr Wissensdurst, ihre Vorstellung von Schönheit und all ihre Sehnsüchte verkörperten!
    All ihr irdisches Wissen, ihre Erfahrungen brachten sie mit sich hierher in den Himmel und ließen eine unwiderstehliche, ihnen liebgewordene Schöpfung neu entstehen! Der Aufruhr übertraf alles, was ich seit der Erschaffung des Universums mit angesehen hatte.
    Und die höchste Verwunderung zeigte der Erzengel Michael, der mich anstarrte, als wollte er sagen: ›Memnoch, die hast du hierhergebracht!‹
    Doch ehe er diese Worte ausrufen konnte - die Seelen standen derweilen noch beisammen und ließen es auf sich wirken, daß sie tatsächlich sowohl die Engel als auch die Dinge berühren konnten, die sie mit ihrer Vorstellungskraft erzeugten -, erstrahlte Gottes Licht hinter den Seraphim und Cherubim, und sehr sachte und wohlbedacht senkte es sich auf die

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