Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
menschlichen Seelen, erfüllte sie und legte ihr Innerstes bloß, so wie es auch bei den Engeln ist.
Voller Freude jauchzten die menschlichen Seelen, und Lobgesänge kamen von den Engeln. Die Arme weit ausgebreitet, stimmte ich meinen Gesang an: ›Herr, Herr, hier sind Deine Seelen, des Himmels würdig, und sieh, was sie dem Himmel geschenkt haben, Herr, sieh auf Deine Schöpfung, sieh die Seelen jener an, denen die Entwicklung vergönnt war, aus winzigsten Zellen, zu Fleisch und Blut, durch Scheol hindurch bis hin zu Deinem Thron zu gelangen. Herr, hier sind wir! Ja, Herr, ich habe es vollbracht. Es ist geschehen. Ich bin zurückgekommen, und Du hast es gestattet.‹ Und da ich schon mehr als genug gesagt hatte, fiel ich auf die Knie nieder.
Die Gesänge hatten sich zu heller Verzückung gesteigert, die kein Mensch aus Fleisch und Blut ertragen hätte. Lobeshymnen erhoben sich aus allen Richtungen. Die menschlichen Seelen verdichteten sich, wurden sichtbar, bis sie uns ebenso deutlich erschienen wie wir ihnen. Einige hatten sich an den Händen gefaßt und hüpften auf und nieder wie kleine Kinder, andere riefen und schrien, wobei ihnen Tränen über das Gesicht liefen.
Und dann verstärkte sich das Licht noch, und wir wußten, Gott wollte sprechen, und wir alle schwiegen still. Und Gott sagte: ›Meine Kinder, meine geliebten Kinder. Hier bringt Memnoch uns seine Millionen von Seelen, und sie alle sind des Himmels würdig.‹ Dann schwieg Gottes Stimme, das Licht wurde übermächtig und liebevoll, der gesamte Himmel war reinste Liebe und Einheit mit Gott.
Ich legte mich erschöpft am Grunde des Himmels nieder und starrte aufwärts in das wunderbar blaue Firmament mit seinen ewigen, blitzenden Sternen. Ich hörte die umherhastenden menschlichen Seelen, hörte die Begrüßungshymnen und die Chöre der Engel. Alles hörte ich, und dann, die Sterblichen nachahmend, schloß ich die Augen.
Schlief Gott je? Ich weiß es nicht. Ich schloß meine Augen, ich lag ganz still im Lichte Gottes, und nach all den endlosen Jahren in Scheol fühlte ich mich endlich wieder warm und geborgen.
Nach geraumer Zeit bemerkte ich, daß einige Seraphim zu mir getreten waren und auf mich herabblickten, ihre Gesichter beinahe unerträglich hell vom reflektierten Licht.
›Memnoch, Gott wünscht mit dir allein zu Sprechens‹, sagten sie.
›Ja, sofort!‹ rief ich und sprang auf die Füße.
Weit entfernt von den jubilierenden Chören, schweigend, ruhig, ohne einen Gefährten, einen Arm schützend über die Augen gelegt, stand ich nun da, der Gegenwart Gottes so nahe, wie es mir nur möglich war.
Kapitel 17
N imm den Arm herunter und sieh mich an‹, sagte der Herr.
In dem Bewußtsein, daß das meine völlige Vernichtung bedeuten, daß alles nur ein närrisches Mißverständnis gewesen sein könnte, gehorchte ich.
Der Glanz war in ein gleichförmiges Strahlen übergegangen, von himmlischer Pracht, und in seiner Mitte sah ich ganz deutlich ein Antlitz wie mein eigenes. Ich könnte nicht sagen, ob es ein menschliches Antlitz war - vielleicht nur ein Gesichtsausdruck oder bloße Ausdruckskraft -, und dieses dem Höchsten eigene Antlitz betrachtete mich nun direkt und eindringlich.
Es war so schön, daß ich mir nicht einmal vorstellen konnte, mich abzuwenden, doch als es zusehends mehr Glanz ausstrahlte, war ich gezwungen zu blinzeln, es kostete mich Anstrengung, meine Augen nicht zu bedecken aus Furcht, das Augenlicht für immer zu verlieren.
Doch dann wurde das Licht schwächer, so daß ich es ertragen konnte, und es umhüllte mich, ohne mich weiter zu blenden. Ich stand zitternd da und war zugleich froh, daß ich nicht versucht hatte, mein Gesicht zu verbergen.
›Memnoch‹, sprach Gott. ›Das hast du gut gemacht. Du hast in Scheol Seelen gefunden, die des Himmels würdig sind; du hast die Freude und die Seligkeit im Himmel vermehrt; das hast du wirklich gut gemacht.‹
Ich stammelte meinen Dank, der eigentlich ein anbetendes Loblied war, in dem ich das Offensichtliche wiederholte, daß nämlich Gott all diese Seelen geschaffen habe und ihnen nun in Seiner Güte erlaubt habe, zu Ihm zu kommen.
»Das macht dich sehr glücklich, nicht wahr?‹ fragte Er.
›Nur, wenn es Dich auch beglückt, Herr, antwortete ich, was ein ganz klein wenig gelogen war.
›Geselle dich wieder zu den Engeln, Memnoch‹, sagte er. ›Daß du dich ohne meine Erlaubnis mit Fleisch und Blut umhüllt hast, habe ich dir vergeben, und auch, daß du mit
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