Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
ich habe gelernt, sie zu lieben, wie du es vorausgesagt hast.
Ich habe wie die Menschen Liebe und zärtliche Zuneigung zu geben gelernt, und auch ich habe bei Frauen gelegen und diese Ekstase erfahren, diesen auflodernden Jubel, den du mit solcher Beredsamkeit beschrieben hast. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, jemals Verlangen nach etwas so Unbedeutendem zu hegen. Der Liebe werden meine eindringlichsten Worte gelten. Ich werde Dinge sagen, die man verdrehen und mißverstehen wird. Doch die Botschaft soll sein: Liebt euch!
Du hast mich überzeugt, und ich habe mich selbst überzeugt, daß es die Liebe ist, die die Menschen über die Tiere erhebt, auch wenn die Menschheit aus dem gleichen Stoff ist wie die Tiere.‹
›Willst Du ihnen eine Anleitung geben, wie man einander lieben soll? Wie man Kriege abschafft, wie man sich in Andacht zusammenfinden soll -?‹
»Aber nein. Das wäre eine absurde Einmischung und würde den gesamten großartigen Ablauf, den ich in Gang gesetzt habe, außer Kraft setzen. Es würde die Dynamik des sich fort und fort entfaltenden Universums beeinträchtigen. Memnoch, für mich sind die menschlichen Wesen immer noch Teil der Natur, wie ich immer gesagt habe, nur daß die Menschen besser sind als die Tiere. Es ist eine Frage der Abstufung. Ja, die Menschen wehren sich gegen das Leid, sie sind sich ihrer Leiden bewußt. Aber in dem Maße, wie Leiden sie läutert und sie in ihrer Entwicklung vorantreibt, verhalten sie sich in gewissem Sinne wie die ihnen unterlegenen Tiere. Sie sind intelligent genug, einen Wert in der Leidensfähigkeit zu erkennen, wohingegen Tiere nur lernen, Leiden instinktiv zu vermeiden. Der Mensch jedoch kann tatsächlich durch die Leiden einer einzigen Lebensspanne geläutert werden. Doch er ist und bleibt Teil der Natur. Die Welt wird sich weiterhin entwickeln wie bisher, voller Überraschungen. Manchmal werden das grausame Überraschungen sein, manchmal wunderbare, manchmal wunderschöne. Doch eins steht fest, die Welt wird weiterhin wachsen, die Schöpfung wird sich weiterhin entfalten.‹
›Ja, Herr, sagte ich, ›doch ist nicht Leiden eine schreckliche Sache?‹ ›Was habe ich dich gelehrt, Memnoch, als du zum ersten Mal zu mir kamst, um mir zu sagen, daß Verwesung ein Fehler, daß der Tod ein Fehler sei? Erkennst du nicht die Größe im menschlichen Leiden?‹
›Nein‹, erwiderte ich. ›Ich sehe nur das Ende aller Hoffnungen, den Tod der Liebe, den Untergang der Familie, die Zerstörung des Seelenfriedens; ich sehe unerträgliche Schmerzen; ich sehe die Menschen unter dieser Last straucheln, haßerfüllt und bitter werden.‹
›Memnoch, du siehst nicht in die Tiefe. Du bist nur ein Engel. Du weigerst dich, die Natur zu verstehen, und so war es von Anfang an mit dir.
Mein Licht soll auf der Erde leuchten während dreier Jahre, die ich noch im Fleische verbringe. Ich werde die Weisheit lehren, die ich in diesem Körper aus Fleisch und Blut gewonnen habe; dann werde ich sterben.‹
›Sterben? Wieso das? Ich will sagen, wie meinst Du das, sterben?
Deine Seele…‹ Unsicher brach ich ab.
Er lächelte.
›Du hast doch eine Seele, Herr? Ich meine, Du bist Mein Gott in Gestalt dieses Menschensohnes, Dein Licht durchflutet jedes Partikelchen dieses Körpers, aber Du… Du hast doch keine Seele, nicht wahr? Keine menschliche Seele!‹ ›Memnoch, diese Unterscheidungen sind unwichtig. Ich bin der leibhaftige Gott.
Wie sollte ich eine menschliche Seele haben? Wichtig ist nur, daß ich in diesem Körper bleiben werde, auch wenn er gepeinigt und geschlagen wird. Mein Tod wird Zeugnis meiner Liebe für die sein, die ich erschaffen habe und denen ich so viel Leid zu ertragen zumute. Ich werde ihre Schmerzen teilen und dadurch wissen, was sie erleiden‹
›Bitte, Herr, vergib mir, aber mit dieser ganzen Idee stimmt etwas nicht.‹ Auch jetzt schien er belustigt. Seine dunklen Augen spiegelten stummes, wohlwollendes Lachen. ›Was stimmt damit nicht, Memnoch? Daß ich den Mythos des sterbenden Gottes der Wälder aufgreife, den die Menschen sich erdacht, den sie besungen haben, der schon seit urdenklichen Zeiten in ihrer Vorstellung lebt - ein Gott, der stirbt, ein Symbol des Kreislaufs der Natur, in dem alles, was geboren wird, sterben muß?
Ich werde sterben, und ich werde auferstehen von den Toten, so wie in all den alten Mythen auf der ganzen Welt jener Gott am Ende des Winters, in jedem neuen Frühjahr, wiederauferstand. Ich werde dieser Gott
Weitere Kostenlose Bücher