Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
sein, der vernichtet und aufs neue geboren wird, mit dem Unterschied, daß es hier, in Jerusalem, kein Ritual sein wird mit menschlichem Stellvertreter, sondern es wird im wahrsten Sinne des Wortes geschehen. Der Sohn Gottes selbst wird den Mythos mit Leben erfüllen. Ich habe beschlossen, diese Legenden durch meinen tatsächlichen Tod zu heiligen. Ich werde aus dem Grabe hervortreten. Meine Auferstehung wird die Bestätigung dafür sein, daß jedem Winter ein neuer Frühling folgt, daß alles, was der Natur entspringt, den ihm bestimmten Platz hat.
Doch, Memnoch, erinnern wird man sich an mich wegen meines Sterbens. Wegen meines Todes. Denn er wird schrecklich sein. Nicht wegen der Auferstehung werden sie meiner gedenken, dessen sei gewiß, denn das ist etwas, was viele einfach weder wahrnehmen noch glauben werden. Doch durch meinen Tod, mein Sterben wird sich die Aussage dieser Mythologien in vollem Umfang bestätigen, und genau das unterstreichen auch alle früheren Sagen. Gott opfert sich in diesem Sterben, damit er seine eigene Schöpfung erkenne. Genau das sollte ich doch deiner Ansicht nach tun.‹
›Nein, nein, warte, Herr, es ist wirklich etwas falsch daran!‹
›Du vergißt dich immer wieder, und du vergißt, mit wem du sprichst, sagte er milde.
Ich sah ihn an, fasziniert von dieser Verbindung des Menschlichen mit dem Göttlichen, hingerissen von Seiner Schönheit und überwältigt von Seiner Göttlichkeit. Dennoch war ich der festen Überzeugung, daß all dies verkehrt war. »Memnoch, was ich dir gerade anvertraut habe, weiß niemand außer mir‹, sprach er. ›Rede nicht mit mir, als könnte ich mich irren. Verschwende diese kurzen Augenblicke nicht, die du hier mit dem Sohn Gottes teilst! Kannst du nicht von mir, der ich leibhaftig vor dir stehe, lernen, wie du von leibhaftigen Menschen gelernt hast? Kann ich dich gar nichts lehren, mein geliebter Erzengel? Warum sitzt du hier und verhörst mich? Was nur kannst du meinen mit dem Wort falsch? ‹ ›Ich weiß es nicht, Herr, ich weiß nicht, wie ich Dir antworten soll. Ich finde nicht die richtigen Worte. Ich weiß nur, daß es nicht funktionieren wird. Zuerst einmal, wer denn wird Dich foltern, wird Dich töten?‹
›Die Bürger von Jerusalems sagte Er. ›Ich werde es schaffen, allen ein Ärgernis zu sein, den traditionsbewußten Hebräern ebenso wie auch den gleichgültigen Römern; alle werden sie Anstoß nehmen an meiner Botschaft, die von reiner Liebe spricht und davon, was diese Liebe von den Menschen fordert. Ich werde für die Rituale und Gesetze der anderen nur Verachtung zeigen. Und so werde ich ins Räderwerk ihrer Gerechtigkeit geraten.
Man wird mich des Hochverrats bezichtigen, wenn ich von meiner Göttlichkeit spreche und davon, daß ich der Sohn Gottes bin, der lebendige Gott… Und schon allein wegen meiner Botschaft wird man mich derart erfindungsreich quälen, daß es niemals in Vergessenheit geraten wird, sowenig wie mein Tod - durch Kreuzigung.‹ ›Kreuzigung? Herr, hast Du Menschen so sterben sehen? Weißt Du, wie sie leiden? Sie hängen dort, ans Holz genagelt, unfähig, ihr eigenes Gewicht abzustützen. Schließlich werden sie immer schwächer und ersticken in Blut und Schmerzen.‹
›Natürlich habe ich es gesehen. Es ist eine übliche Form der Exekution. Sehr furchtbar und sehr menschlich.‹
›Oh, nein, nein, nein‹, rief ich aus. ›Das kann nicht sein. Willst Du Deine Lehren mit der öffentlichen Zurschaustellung Deines Scheiterns und mit Deiner Hinrichtung krönen - mit solcher Grausamkeit und dem Tod selbst?‹
›Ich scheitere nicht, Memnoch‹, sprach Er, ›ich werde ein Märtyrer wegen meiner Lehren sein! Das unschuldige Lamm als Blutopfer für den lieben Gott hat es schon seit Anbeginn der Menschheit gegeben. Um Gott ihre Liebe zu zeigen, geben die Menschen ihm instinktiv das, was für sie von besonderem Wert ist. Wer wüßte das besser als du, der du um ihre Altäre schlichst und ihren Gebeten lauschtest? Und du hast darauf bestanden, daß auch ich lauschte. Opferung und Liebe haben sich in dem Ritus vereint.‹
›Herr, sie opfern aus Furcht! Das hat doch nichts mit Liebe zu Gott zu tun! Diese Opfergaben? Die Kinder, die man Baal opferte? Und wer weiß wie viele hundert andere scheußliche Rituale? Aus Furcht opfern sie! Warum sollte Liebe Opfer verlangen?‹
Ich preßte die Hände auf meinen Mund, ich konnte nicht mehr logisch denken, so entsetzt war ich. In diesem alles erstickenden Gewebe des
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