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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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plötzlicher Panik, daß ich jeden Moment einen kunstvoll in die Mauern eingerügten Wasserspeier entdecken könnte und feststellen müßte, daß er lebendig war und mich beobachtete.
    Doch ich spürte nichts, niemanden außer die hier in diesem Zimmer, die ich liebte, die geduldig warteten, bis ich mein melodramatisches und ausuferndes Schweigen beendete.
    Ich wandte mich um. Armand hatte sich wieder mit höchst modischem Samt und bestickter Spitze ausstaffiert, diesem »romantischen New Look«, den man allenthalben in den schicken Läden dieser Stadt finden konnte. Sein rotbraunes Haar fiel locker und ungeschnitten herab wie in längst vergangenen Zeiten, als er, ein dem Satan Geweihter in den Augen der Pariser Vampire, sich nicht die Eitelkeit erlaubt hatte, auch nur ein einziges Löckchen davon abzuschneiden. Aber nun war es sauber gewaschen und glänzte in sattem Kastanienbraun vor dem dunklen Blutrot seines Jacketts. Und ach, seine schwermütigen, ewig jungen Augen, die mich betrachteten, die glatten, knabenhaften Wangen, der engelhafte Mund. Er saß am Tisch, zurückhaltend, aber erfüllt von Liebe und Neugier und auch einer Art Demut, die zu sagen schien: »Vergiß all unsere Auseinandersetzungen. Ich bin für dich da.«
    »Ja«, sagte ich laut. »Ich danke dir.«
    David, der kräftige, braunhaarige, anglo-indische junge Mann, saß da und sah so verlockend und zum Anbeißen aus wie stets seit der Nacht, da ich ihn zu einem der Unseren gemacht hatte. Er trug seinen geliebten englischen Tweed mit Lederflicken an den Ellbogen und eine Weste, die genauso hoch geschlossen war wie meine, außerdem hatte er ein Kaschmirhalstuch umgelegt, vielleicht weil er trotz all seiner Stärke sich doch noch gegen die ungewohnte Kälte schützen mußte.
    Es ist schon merkwürdig, auf welche Art wir die Kälte empfinden. Man kann sie einfach ignorieren. Aber dann, von einer Sekunde zur anderen, nimmt man sie doch sehr persönlich.
    Meine strahlende Dora saß mir am nächsten, Armand gegenüber, und David, das Gesicht mir zugewandt, zwischen ihnen. Also blieb für mich nur der Stuhl, der mit dem Rücken zum Fenster und zum nächtlichen Himmel stand. Ich starrte ihn an. Ein so simples Objekt, ein mit schwarzem Lack überzogener Stuhl in fernöstlichem Design, andeutungsweise chinesisch, sehr funktional und eindeutig teuer.
    Als Dora sich erhob, wirkte es, als ob ihre langen Beine sich unter ihr auseinanderfalteten. Sie trug ein dünnes, langes Kleid aus burgunderfarbener Seide, nur dieses leichte Kleid, offensichtlich schien ihr die künstliche Wärme des Raumes zu genügen, um sich behaglich zu fühlen. Ihre weißen Arme waren unbedeckt. Sie sah bekümmert aus;
    die glänzenden schwarzen Haare lagen wie ein kleines Käppchen um ihren Kopf und bogen sich in zwei Spitzen bis zur Mitte ihrer Wangen - der bevorzugte Haarschnitt von vor achtzig Jahren, aber auch von heute. Ihre Augen waren wie immer groß und rund und strahlten Liebe aus.
    »Was ist geschehen. Lestat?« fragte sie. »Ach, bitte, erzähl es uns.«
    »Wo hast du dein Auge gelassen?« fragte Armand. Das war genau die Frage, auf die man bei ihm gefaßt sein mußte. Er war nicht aufgestanden. David, der englische Gentleman, war schon deshalb aufgestanden, weil Dora aufgestanden war, doch Armand saß einfach da, schaute zu mir hoch und fragte ganz direkt und ohne Umschweife: »Was ist damit passiert? Hast du es noch?«
    Ich sah Dora an. »Man hätte das Auge retten können«, zitierte ich aus ihrer Geschichte von Onkel Mickey, den Gangstern und dem Auge, »wenn diese Schurken es nicht zertreten hätten.«
    »Was sagst du da?« fragte sie.
    »Ich weiß nicht, ob sie es wirklich zertreten haben«, sagte ich, irritiert durch das Zittern in meiner Stimme, von der Dramatik, die sich darin ausdrückte. »Es waren auch keine Gangster, sondern es waren Geister, und ich war auf der Flucht und ließ das Auge zurück, ließ es auf den Stufen liegen. Vielleicht haben sie es zerdrückt, zertreten wie einen Klumpen Matsch, was weiß ich. Haben sie Onkel Mickey eigentlich mit seinem Glasauge begraben?«
    »Ja, ich denke schon.« Dora sprach wie betäubt. »Darüber haben sie mir nie etwas erzählt.«
    Ich spürte, wie die beiden ändern sie mit ihren telepathischen Sinnen durchforschten, wie Armand mich durchbohrte, wie sie die Bilder auffingen, die Onkel Mickey in der Bar zeigten, halb zu Tode getreten, und die Gangster, die mit ihren spitzen Schuhen das Auge zerquetschten.
    Dora stöhnte

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