Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
Weise von der Romantik deines Daseins überzeugt. Selbstbetrug von Grund auf.«
»Das war Folter, was du mit mir gemacht hast?« fragte er. »Ich habe keine Erinnerung an Schmerzen, nur an Wut darüber, daß ich sterben sollte. Wie auch immer, diesen Mann auf Long Island tötete ich für Geld. Der Mord bedeutete mir nichts. Ich fühlte hinterher nicht einmal Erleichterung, sondern eher eine gewisse Stärke, weil ich das hatte durchführen können. Ich wollte diese Probe noch einmal bestehen, und dazu kam es schon bald.«
»So hattest du also deinen Weg gefunden.«
»Absolut. Ganz mein Stil. Es sprach sich herum. Wenn etwas unmöglich scheint, nehmt Roger. Ich schaffte es, in ein Krankenhaus zu spazieren, aufgemacht wie ein junger Arzt, mit einem Namensschild am Kittel, ein paar Listen in der Hand, und einen Typen in seinem Bett zu erschießen, ehe auch nur irgend jemand Lunte gerochen hatte. Ich tat das tatsächlich.
Aber weißt du, ich habe meinen Reichtum nicht als Killer erworben. Der kam erst durch Heroin und später durch Kokain, und meine Verbindungen hatte ich noch aus der Zeit dieser Wildwestabenteuer. Dieselben Leute transportierten jetzt das Kokain, auf derselben Route, mit denselben Flugzeugen! Du kennst die Geschichte des Drogenhandels wie jeder heute. Die Methoden, die die Händler anfangs anwandten, waren nicht gerade raffiniert. Es war eher wie ein Räuber-und-Gendarm-Spiel mit den Knaben von der Regierung. Die Drogenflieger versuchten schneller zu sein als die Polizisten, landeten irgendwo - manchmal so vollgestopft mit dem Zeug, daß der Pilot sich kaum aus dem Cockpit quetschen konnte -, wir rasten los, luden den Stoff um und verschwanden mit einem Affenzahn.«
»Ja, die Stories kenne ich.«
»Jetzt gibt es in diesem Geschäft echte Genies, die mit Handies und Computern operieren und wissen, wie man Geld so geschickt wäscht, daß es spurlos verschwindet. Aber damals? Da war ich das Genie im Drogengeschäft. Manchmal war das alles mühsamer als Kohlenschleppen, sag’ ich dir. Und ich hängte mich voll rein, fand die richtigen Mittelsmänner, denen ich trauen konnte, und die richtigen Lastesel für den Grenzübertritt, und bevor Kokain förmlich die Straßen überschwemmte, machte ich die schönsten Geschäfte mit den wirklich Reichen, weißt du, mit solchen Leuten, die man persönlich belieferte. Die mußten nicht einen Fuß vor die Tür ihrer Paläste setzen. Es kam ein Anruf; du gingst hin; dein Stoff war rein; und sie mochten dich. Aber ich ließ mich nicht lange darauf ein. Ich wollte davon nicht abhängig sein.
Ich war etwas cleverer. Als damals diese teuflische Inflation grassierte, konnte ich einige Grundstückstransaktionen tätigen, einfach weil ich das Geld bar auf der Hand hatte. Ich war wirklich brillant. Ich habe echt abgeräumt.«
»Aber wie kamst du an Terry? Und Dora?«
»Reiner Zufall. Oder Schicksal. Wer weiß? Ich kehrte nach New Orleans zurück wegen meiner Mutter, stolperte über Terry und schwängerte sie. Idiotisch.
Zweiundzwanzig war ich, und meine Mutter lag im Sterben. Sie sagte: ›Roger, bitte komm nach Hause.‹ Ihr alberner, faltengesichtiger Freund war gestorben, so daß sie ganz allein war. Allerdings hatte ich ihr schon die ganze Zeit reichlich Geld geschickt. Sie hatte das Haus wieder für sich allein, keine Gäste mehr, sie hatte zwei Dienstmädchen und einen Fahrer, der sie im Cadillac durchs Viertel kutschierte, wann immer sie Lust hatte. Das machte ihr riesigen Spaß, sie fragte nie, woher das Geld kam.
Natürlich hatte ich weiterhin nach Wynken gesucht, ich besaß inzwischen zwei weitere Bücher von ihm und das Lager in New York mit allen möglichen Kostbarkeiten. Aber darauf komme ich noch. Behalt nur den Gedanken an Wynken im Kopf.
Meine Mutter hatte mich eigentlich nie um etwas gebeten. Sie hatte jetzt für sich das große Schlafzimmer im oberen Stock zurechtgemacht. Sie lag da und sagte immer, sie unterhalte sich mit all den anderen aus der Familie, die ihr vorangegangen waren - mit ihrem armen, lieben Bruder Mickey und ihrer Schwester Alice und ihrer Mutter, dem irischen Hausmädchen - der Gründerin der Familie, sozusagen -, die das Haus von der verrückten alten Dame geerbt hatte, in deren Diensten sie gestanden hatte. Meine Mutter sprach auch häufig mit Klein Richard, ihrem Bruder, der schon mit vier Jahren gestorben war. Sie sagte. Klein Richard erscheine ihr immer, um ihr zu sagen, es sei jetzt an der Zeit, zu ihm zu kommen.
Doch jetzt
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