Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
wollte sie, daß ich nach Hause kam. Ich sollte bei ihr sein in diesem Zimmer; das war mir klar, ich verstand sie. Sie hatte sich früher selbst um Gäste gekümmert, die im Sterben lagen, und auch ich hatte nicht nur im Sterbezimmer des Kapitäns gesessen. Also erfüllte ich ihr den Wunsch.
In New York wußte niemand, wohin ich ging, keiner kannte meinen richtigen Namen, so daß ich die Stadt einfach hinter mir lassen konnte. Ich fuhr also zu dem Haus in der St. Charles Avenue und saß bei ihr im Krankenzimmer, hielt die Brechschale, wischte ihr den Speichel ab und versuchte, sie auf die Bettpfanne zu setzen, wenn in der Agentur keine Krankenschwester frei war. Wir hatten eine Hilfe, aber die wollte sie nicht, nicht das farbige Mädchen - so nannte sie sie immer. Oder die gräßliche Krankenschwester. Und so machte ich also die erstaunliche Entdeckung, daß ich das alles gar nicht so abstoßend fand. Ich habe so viele Laken gewaschen. Natürlich gab es eine Waschmaschine, aber ich mußte das Bett wieder und wieder abziehen. Es machte mir nichts aus. Vielleicht war ich ja immer schon in mancher Hinsicht nicht normal gewesen. Was auch passierte, ich tat einfach, was notwendig war. Ich habe bestimmt tausendmal diese Bettpfanne gereinigt. Kein Gestank hält ewig.«
»Wenigstens nicht in dieser Welt«, murmelte ich. Aber das hörte er, Gott sei Dank, nicht.
»Das ging zwei Wochen so. Sie wollte nicht ins Krankenhaus, also ließ ich Pflegerinnen rund um die Uhr kommen, die ihr den Puls und den Blutdruck maßen, wenn ihr Zustand mich beunruhigte.
Ich ließ Musik laufen, betete laut mit ihr den Rosenkranz und all das, die typische Sterbebettszene eben. Von zwei bis vier Uhr nachmittags durften Besucher zu ihr. Verwandte kamen, die fragten: ›Wo ist Roger?‹, aber ich ließ mich nicht blicken.«
»Aber es quälte dich nicht, sie so leiden zu sehen.«
»Na, ich war nicht gerade wild darauf. Sie war von Krebs zerfressen, kein Geld der Welt hätte sie retten können. Ich wollte, daß es schnell mit ihr ging, ich konnte es kaum ertragen, sie so zu sehen. Aber tief in mir gibt es wohl eine gewisse Härte, die mich zum Durchhalten zwingt, die mir sagt: ›Tu einfach, was nötig ist.‹ Und so blieb ich bei ihr, Tag und Nacht, bis sie starb.
Sie sprach oft von Geistern, aber ich hörte und sah keine. Ich dachte nur immerzu: ›Klein Richard, Onkel Mickey, kommt, nehmt sie mit euch.‹
Doch ehe es zu Ende mit ihr ging, kam noch Terry, eine private Pflegerin, wie sie sich nannte, sie sprang ein, wenn keine Krankenschwester frei war.
Terry, eins fünfundsiebzig groß, blond, die billigste und verführerischste Puppe, die ich je gesehen hatte.
Weißt du, es geht hier nur um die Frage, ob ein bestimmter Stil konsequent angewandt wird, ob alles zusammenpaßt. Dieses Mädchen war perfekt in ihrer glitzernden, kitschigen Aufmachung.«
Ich lächelte, »rosa Fingernägel und rosa Lip gloss«. Ich hatte das Bild von ihr in seinem Geist aufblitzen sehen.
»Alles paßte bis aufs I-Tüpfelchen zusammen bei ihr. Der Kaugummi, das goldene Fußkettchen, die lackierten Zehennägel und ihre Art, direkt da im Krankenzimmer die Schuhe abzustreifen, damit ich ihre rosa Zehennägel sah, und wie sie mit dem Ausschnitt ihrer weißen Nylonuniform kokettierte. Und ihre dummen Augen unter den schweren Lidern, wunderbar geschminkt mit Eyeliner und Mascara. Sie feilte ihre Nägel in meiner Gegenwart!
Ich sage dir, sie war das fleischgewordene Klischee, perfekt realisiert, nie wieder ist mir so etwas vor Augen gekommen. Ach, was soll ich sagen! Sie war ein Meisterwerk!«
Ich mußte lachen und er auch, aber er sprach weiter.
»Sie war einfach unwiderstehlich. Ein unbehaartes kleines Tier. Ich vögelte mit ihr, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Während meine Mutter schlief, machten wir es im Stehen im Badezimmer. Ihr rosa Slip hing ihr um die Knöchel. Hin und wieder gingen wir in eins der unbenutzten Schlafzimmer; wir brauchten nie mehr als zwanzig Minuten, ich habe die Zeit gestoppt! Sie roch immer nach Blue-WaltzParfüm.«
Ich lachte leise und nachdenklich: »Ob ich wohl weiß, wovon du sprichst? Du hattest das durchschaut. Man stelle sich vor, du hattest sie durchschaut, und doch bist du auf sie hereingefallen.«
»Immerhin war ich Lichtjahre von New York entfernt, von den Frauen und den Knaben, die ich da haben konnte. Weit weg von dieser ganzen großen Show, die in der Drogenszene abläuft, wo dir blöde Bodyguards die Türen
Weitere Kostenlose Bücher