Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
daß mir sein Spuken an sich nicht als so unwahrscheinlich erschien. Aber daß er mich in eine Unterhaltung verstricken, mich zu seinem Vertrauten machen konnte - das war ein Beweis für seinen enormen, fast schon blendenden Stolz.
    Ganz wie ein Sterblicher ging ich zu Fuß zu Doras Konvent, atmete tief die von den Gerüchen des Flusses durchtränkte Luft, froh, die behäbigen Häuser von New Orleans mit ihrem heimeligen Licht wiederzusehen, wieder zu Hause zu sein bei meinen schwarzborkigen Eichen und den aus jeder Nische sprießenden Gräsern, Blüten und Ranken.
    Viel zu schnell erreichte ich das alte Ziegelgemäuer des Klosters an der Napoleon Avenue, wo Dora lebte. Diese Straße war außerordentlich schön, sogar für New Orleans; auf dem extrem breiten Mittelstreifen fuhren früher die Straßenbahnen, jetzt war er dicht mit schattenspendenden Bäumen bepflanzt, wie sie auch rund um den Konvent wuchsen, dessen Front zur Straße zeigte. Hier befand man sich tief im viktorianischen Stadtteil mit all seinem Grün.
    Langsam näherte ich mich dem Gebäude, darauf bedacht, mir alle Einzelheiten genau einzuprägen. Das Hauptgebäude sowie die Seitenflügel des Konvents hatten ein Mansardendach mit kupfernen Regenrinnen. Hier und dort waren Dachpfannen von den ungewöhnlichen, gerundeten Dachgauben gefallen. Das Ziegelwerk selbst, die Fensterbögen, die vier Ecktürme und der zweigeschossige Vorbau über dem Eingang, im Plantagenstil gehalten, mit weißen Säulen und gußeisernen schwarzen Geländern - all das war andeutungsweise italienischer Stil, sehr anmutig in den Proportionen, typisch für New Orleans. An den zahllosen, in verblichenem Weiß gestrichenen Fenstern gab es keine Läden, obwohl sie sicherlich ursprünglich vorhanden gewesen waren.
    Vor der Front des Gebäudes lag ein großer, spärlich bepflanzter Garten, und den ausgedehnten Innenhof kannte ich natürlich schon. Dieses kleine, in sich geschlossene Universum, das den ganzen Straßenzug beherrschte, hatte also einst Nonnen und Waisenmädchen beherbergt. Riesige Eichen breiteten ihre Kronen über den Gehweg, und eine Reihe uralter Myrten säumte die Seitenstraße an der Südseite.
    Als ich das Gebäude umrundete, fielen mir die bunten Glasfenster der zwei Stockwerke hohen Kapelle ins Auge und dahinter flackernder Kerzenschein, als seien Altar und Tabernakel noch vorhanden - was ich bezweifelte. Dort an der Rückseite stieg ich über die Mauer.
    Nur wenige Türen waren abgeschlossen; das Gebäude lag in Schweigen gehüllt. Und in seinem Innern war es frostig kalt, kälter als draußen in dem winterlichen New Orleans. Vorsichtig betrat ich den unteren Flur und war sofort verliebt in die Proportionen dieser Räume, in die Erhabenheit und Weite der Korridore, in den Duft, den die nackten gelben Dielen aus Kiefernholz verströmten. Alles wirkte sehr rustikal, auf die Art, wie es in den Großstädten zur Zeit bei den Künstlern in ist, die in alten Lagerhäusern leben oder ihre riesigen Altbauetagen »Loft« nennen. Aber das hier war kein Lagerhaus, sondern eine gewissermaßen geweihte Behausung, das hatte ich gleich gefühlt. Langsam schritt ich den langen Korridor hinab bis zum Treppenhaus, rechts über mir, im dritten Geschoß, im sogenannten nordöstlichen Turm, hatte Dora ihre Wohnräume.
    Ich konnte niemanden spüren in dem Gebäude, konnte auch von Dora weder etwas riechen noch hören. Die Geräusche von Ratten, Ungeziefer nahm ich wahr, auch ein etwas größeres Tier, vielleicht ein oben im Dachboden futternder Waschbär. Dann versuchte ich, geistige Strömungen zu erfassen - Elementargeister, wie David sie nannte, ich zog die Bezeichnung »Poltergeister« vor.
    Ganz still stand ich da, mit geschlossenen Augen, und lauschte. Die Stille schien undeutliche Persönlichkeitsströme auszusenden, doch sie waren zu schwach, als daß sie mich gerührt oder auch nur einen Gedanken in mir entfacht hätten. Ja, da waren Geister… aber keine spürbare geistige Unruhe, keine ungeklärten Tragödien, keine ungesühnte Ungerechtigkeit, eher im Gegenteil eine geistige Ruhe und Festigkeit.
    Dieses Gebäude war ganz es selbst, mir schien, als genieße es, wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt worden zu sein. Selbst die einst verputzten Deckenbalken sahen wieder wunderschön aus in ihrem dunklen schweren Holz, meisterlich geglättet von Handwerkern, die damals mit großer Sorgfalt gearbeitet hatten. Auch das Treppenhaus war unverändert erhalten.

Weitere Kostenlose Bücher