Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
werde ich mich morgen nacht direkt auf den Weg zu ihr machen. Wenn die Zeit ausreichte, ginge ich noch jetzt. David, sollte mir etwas passieren, sollte ich nicht mehr auftauchen… du hast Doras Erbschaft.«
Er nickte. »Mein Ehrenwort, ich werde ihre Interessen wahren. Aber du darfst nicht zu ihr!«
»Lestat, wenn du mich brauchst«, sagte Armand, »wenn dieses Geschöpf dich gewaltsam mit sich nimmt!«
»Warum sorgst du dich um mich?« fragte ich ihn. »Nach allem, was ich dir angetan habe? Warum?«
»Ach, sei nicht ein solcher Idiot«, bat er sanft. »Du hast mich schon vor Zeiten davon überzeugt, die Welt als Wilden Garten zu betrachten. Denk nur an deine poetischen Worte von einst, als du dich allein den Gesetzen der Ästhetik unterwarfst als den einzig wahren, denen man trauen konnte.«
»Ja, ich erinnere mich, und ich fürchte, es ist wahr; ich ahnte es schon als Kind, als ich noch sterblich war. Eines Morgens wachte ich auf und hatte keinerlei Glauben mehr.«
»Nun denn, mein Freund«, sprach Armand, »in diesem Wilden Garten leuchtest du in einem wunderbaren Glanz, und du bewegst dich darin, als sei er dein und als könntest du ihn nach deinem Gefallen nutzen. Und obwohl ich weit umherstreife, kehre ich doch immer wieder zu dir zurück. Ich kehre zurück, um den Regenbogen dieses Gartens in deinem Schatten zu finden oder seinen Widerschein in deinen Augen - vielleicht auch nur, um von deiner letzten Verrücktheit oder einer neuen irren Idee zu hören. Und außerdem, wir sind doch Brüder, nicht wahr?«
»Warum hast du mir nicht beigestanden, als ich in Schwierigkeiten war, nachdem ich diesen Körpertausch mit einem Sterblichen vollzogen hatte?«
»Wenn ich es dir sage, wirst du mir nie vergeben«, antwortete er.
»Sag’s trotzdem.«
»Weil ich gehofft und gebetet habe, daß du in diesem sterblichen Körper bleiben und so deine Seele retten würdest. Meiner Ansicht nach war dir das größte Geschenk überhaupt gewährt worden - wieder ein Mensch zu sein. Mein Herz hoffte sehnlichst auf diesen deinen Triumph! Ich konnte einfach nicht eingreifen.«
»Du bist ein Kind und ein Dummkopf, das hat sich nicht geändert.«
Er zuckte die Schultern. »Na, es sieht ja so aus, als hättest du die nächste Chance, etwas mit deiner Seele anzustellen. Aber Lestat, diesmal solltest du besser deine Kräfte und deinen Einfallsreichtum verdoppeln. Ich traue diesem Memnoch weniger als jedem menschlichen Gegner, dem du, gefesselt an sterbliches Fleisch, gegenübergestanden hast. Memnoch klingt wenig himmlisch. Warum sollten sie dich mit ihm hineinlassen?«
»Ausgezeichnete Frage.«
»Lestat«, warf David erneut ein, »geh nicht zu Dora. Bitte, erinnere dich daran, daß dir schon letztes Mal viel erspart geblieben wäre, wenn du auf mich gehört hättest.«
Oh, dagegen konnte man jede Menge einwenden, denn seine Ratschläge hätten vielleicht auch ihn selbst davor bewahren können, zu werden, was er jetzt war. Dennoch gefiel es mir durchaus, daß er nun hier war in dieser schönen Gestalt, daß er die fleischgewordene Trophäe des Körperdiebs errungen hatte.
»Ich glaube gerne, daß der Teufel dich will«, sagte Armand.
»Warum?« fragte ich.
»Bitte, geh nicht zu Dora!« beschwor mich David.
»Ich muß einfach hin, und der Morgen dämmert beinahe schon. Ich liebe euch, alle beide.«
Die beiden starrten mich an, perplex, mißtrauisch und unsicher.
Ich tat das einzig Richtige. Ich ging.
Kapitel 9
A ls ich am nächsten Abend mein Dachbodenversteck verließ, machte ich mich sofort auf die Suche nach Dora. Von Armand und David wollte ich nichts mehr hören und sehen. Niemand konnte mich mehr von meinem Vorhaben abbringen. Es stellte sich höchstens die Frage, wie ich vorgehen sollte. Immerhin hatten die beiden mir unwissentlich bestätigt, daß ich nicht völlig verrückt war. Was da um mich herum vor sich ging, spielte sich nicht nur in meiner Phantasie ab - ein Teil vielleicht, aber nicht alles.
Wie auch immer, ich beschloß, was Dora betraf, ziemlich radikale Maßnahmen zu ergreifen, die begreiflicherweise weder David noch Armand billigen würden.
Da ich so einiges über Doras Gewohnheiten und die Orte, die sie üblicherweise aufsuchte, herausgefunden hatte, fing ich sie ab, als sie gerade das Fernsehstudio in der Chartres Street verließ, wo sie den gesamten Nachmittag mit der Aufzeichnung einer einstündigen Show verbracht hatte. Ich wartete im Eingang eines nahe gelegenen Ladens, während sie sich von
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